Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

Schulwesen herkommend vermuthete. Er hatte
auch alle Ursache, sich an mich zu halten; denn
schon hatten meine Vettern sich aus dem Staube
gemacht, noch ehe der Schulmeister einen Stoff
ergriffen, und ich sah, wie sie draußen am Ufer
alle drei ihre Köpfe tief in die Oeffnung eines
Fischkastens steckten, daß man nichts von ihnen
sehen konnte als ihre sechs Beine. Sie unter¬
suchten aufmerksam den Fischbestand ihres Oheims,
indessen die Schwestern seinem Töchterchen und
einer alten Magd in Küche, Keller und Garten
gefolgt waren.

Der Schulmeister merkte bald, daß ich ein
andächtiger und bescheidener Zuhörer und auf
seine Fragen nicht ohne Geschick einzugehen im
Stande sei. Freilich nahm er das stille Dasitzen,
welches nicht immer auf die summenden Worte
achtet und sie, etwas heuchlerisch, als angenehmes
Wiegenlied zu einem anderweitigen Träumen be¬
nutzt, für baare Münze, um so mehr, als ich in
solcher Lage doch immer wach genug war, auf
die Uebergänge zu merken. Nachdem er mich
über die neuen Schuleinrichtungen angelegentlich

Schulweſen herkommend vermuthete. Er hatte
auch alle Urſache, ſich an mich zu halten; denn
ſchon hatten meine Vettern ſich aus dem Staube
gemacht, noch ehe der Schulmeiſter einen Stoff
ergriffen, und ich ſah, wie ſie draußen am Ufer
alle drei ihre Koͤpfe tief in die Oeffnung eines
Fiſchkaſtens ſteckten, daß man nichts von ihnen
ſehen konnte als ihre ſechs Beine. Sie unter¬
ſuchten aufmerkſam den Fiſchbeſtand ihres Oheims,
indeſſen die Schweſtern ſeinem Toͤchterchen und
einer alten Magd in Kuͤche, Keller und Garten
gefolgt waren.

Der Schulmeiſter merkte bald, daß ich ein
andaͤchtiger und beſcheidener Zuhoͤrer und auf
ſeine Fragen nicht ohne Geſchick einzugehen im
Stande ſei. Freilich nahm er das ſtille Daſitzen,
welches nicht immer auf die ſummenden Worte
achtet und ſie, etwas heuchleriſch, als angenehmes
Wiegenlied zu einem anderweitigen Traͤumen be¬
nutzt, fuͤr baare Muͤnze, um ſo mehr, als ich in
ſolcher Lage doch immer wach genug war, auf
die Uebergaͤnge zu merken. Nachdem er mich
uͤber die neuen Schuleinrichtungen angelegentlich

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0072" n="62"/>
Schulwe&#x017F;en herkommend vermuthete. Er hatte<lb/>
auch alle Ur&#x017F;ache, &#x017F;ich an mich zu halten; denn<lb/>
&#x017F;chon hatten meine Vettern &#x017F;ich aus dem Staube<lb/>
gemacht, noch ehe der Schulmei&#x017F;ter einen Stoff<lb/>
ergriffen, und ich &#x017F;ah, wie &#x017F;ie draußen am Ufer<lb/>
alle drei ihre Ko&#x0364;pfe tief in die Oeffnung eines<lb/>
Fi&#x017F;chka&#x017F;tens &#x017F;teckten, daß man nichts von ihnen<lb/>
&#x017F;ehen konnte als ihre &#x017F;echs Beine. Sie unter¬<lb/>
&#x017F;uchten aufmerk&#x017F;am den Fi&#x017F;chbe&#x017F;tand ihres Oheims,<lb/>
inde&#x017F;&#x017F;en die Schwe&#x017F;tern &#x017F;einem To&#x0364;chterchen und<lb/>
einer alten Magd in Ku&#x0364;che, Keller und Garten<lb/>
gefolgt waren.</p><lb/>
        <p>Der Schulmei&#x017F;ter merkte bald, daß ich ein<lb/>
anda&#x0364;chtiger und be&#x017F;cheidener Zuho&#x0364;rer und auf<lb/>
&#x017F;eine Fragen nicht ohne Ge&#x017F;chick einzugehen im<lb/>
Stande &#x017F;ei. Freilich nahm er das &#x017F;tille Da&#x017F;itzen,<lb/>
welches nicht immer auf die &#x017F;ummenden Worte<lb/>
achtet und &#x017F;ie, etwas heuchleri&#x017F;ch, als angenehmes<lb/>
Wiegenlied zu einem anderweitigen Tra&#x0364;umen be¬<lb/>
nutzt, fu&#x0364;r baare Mu&#x0364;nze, um &#x017F;o mehr, als ich in<lb/>
&#x017F;olcher Lage doch immer wach genug war, auf<lb/>
die Ueberga&#x0364;nge zu merken. Nachdem er mich<lb/>
u&#x0364;ber die neuen Schuleinrichtungen angelegentlich<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[62/0072] Schulweſen herkommend vermuthete. Er hatte auch alle Urſache, ſich an mich zu halten; denn ſchon hatten meine Vettern ſich aus dem Staube gemacht, noch ehe der Schulmeiſter einen Stoff ergriffen, und ich ſah, wie ſie draußen am Ufer alle drei ihre Koͤpfe tief in die Oeffnung eines Fiſchkaſtens ſteckten, daß man nichts von ihnen ſehen konnte als ihre ſechs Beine. Sie unter¬ ſuchten aufmerkſam den Fiſchbeſtand ihres Oheims, indeſſen die Schweſtern ſeinem Toͤchterchen und einer alten Magd in Kuͤche, Keller und Garten gefolgt waren. Der Schulmeiſter merkte bald, daß ich ein andaͤchtiger und beſcheidener Zuhoͤrer und auf ſeine Fragen nicht ohne Geſchick einzugehen im Stande ſei. Freilich nahm er das ſtille Daſitzen, welches nicht immer auf die ſummenden Worte achtet und ſie, etwas heuchleriſch, als angenehmes Wiegenlied zu einem anderweitigen Traͤumen be¬ nutzt, fuͤr baare Muͤnze, um ſo mehr, als ich in ſolcher Lage doch immer wach genug war, auf die Uebergaͤnge zu merken. Nachdem er mich uͤber die neuen Schuleinrichtungen angelegentlich

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/72
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/72>, abgerufen am 24.11.2024.