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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬
seits des Thales lag der Wald in silbergrauem
Duft, die Terrassen hoben sich merklich von ein¬
ander los, ihre laubigen Umrisse, von der Mor¬
gensonne bestreift, waren hellgrün, jede bedeutende
Baumgruppe zeichnete sich groß und schön in dem
zusammenhaltenden Dufte und schien ein Spiel¬
werk für die nachahmende Hand zu sein; meine
Schulstunde wollte aber nicht vorübergehen, ob¬
schon ich längst nicht mehr aufmerkte.

Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Physik
in der Hand, hin und her und durch mehrere
Zimmer, bis ich in einem derselben die weltliche
Bibliothek des Hauses entdeckte; ein breiter alter
Strohhut, wie ihn die Mädchen zur Feldarbeit
brauchen, hing darüber und verbarg sie beinahe
ganz. Wie ich denselben aber wegnahm, sah ich
eine kleine Schaar guter Franzbände mit golde¬
nem Rücken, ich zog einen Quartband hervor,
blies den dichten Staub davon und schlug die
Geßner'schen Werke auf, in dickem Schreibpapier,
mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬
schmückt. Ueberall wo ich blätterte, war von

klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬
ſeits des Thales lag der Wald in ſilbergrauem
Duft, die Terraſſen hoben ſich merklich von ein¬
ander los, ihre laubigen Umriſſe, von der Mor¬
genſonne beſtreift, waren hellgruͤn, jede bedeutende
Baumgruppe zeichnete ſich groß und ſchoͤn in dem
zuſammenhaltenden Dufte und ſchien ein Spiel¬
werk fuͤr die nachahmende Hand zu ſein; meine
Schulſtunde wollte aber nicht voruͤbergehen, ob¬
ſchon ich laͤngſt nicht mehr aufmerkte.

Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Phyſik
in der Hand, hin und her und durch mehrere
Zimmer, bis ich in einem derſelben die weltliche
Bibliothek des Hauſes entdeckte; ein breiter alter
Strohhut, wie ihn die Maͤdchen zur Feldarbeit
brauchen, hing daruͤber und verbarg ſie beinahe
ganz. Wie ich denſelben aber wegnahm, ſah ich
eine kleine Schaar guter Franzbaͤnde mit golde¬
nem Ruͤcken, ich zog einen Quartband hervor,
blies den dichten Staub davon und ſchlug die
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mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬
ſchmuͤckt. Ueberall wo ich blaͤtterte, war von

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[38/0048] klemmung der Vergangenheit wieder heran; jen¬ ſeits des Thales lag der Wald in ſilbergrauem Duft, die Terraſſen hoben ſich merklich von ein¬ ander los, ihre laubigen Umriſſe, von der Mor¬ genſonne beſtreift, waren hellgruͤn, jede bedeutende Baumgruppe zeichnete ſich groß und ſchoͤn in dem zuſammenhaltenden Dufte und ſchien ein Spiel¬ werk fuͤr die nachahmende Hand zu ſein; meine Schulſtunde wollte aber nicht voruͤbergehen, ob¬ ſchon ich laͤngſt nicht mehr aufmerkte. Ungeduldig ging ich, ein Lehrbuch der Phyſik in der Hand, hin und her und durch mehrere Zimmer, bis ich in einem derſelben die weltliche Bibliothek des Hauſes entdeckte; ein breiter alter Strohhut, wie ihn die Maͤdchen zur Feldarbeit brauchen, hing daruͤber und verbarg ſie beinahe ganz. Wie ich denſelben aber wegnahm, ſah ich eine kleine Schaar guter Franzbaͤnde mit golde¬ nem Ruͤcken, ich zog einen Quartband hervor, blies den dichten Staub davon und ſchlug die Geßner'ſchen Werke auf, in dickem Schreibpapier, mit einer Menge Vignetten und Bildern ge¬ ſchmuͤckt. Ueberall wo ich blaͤtterte, war von

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 38. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/48>, abgerufen am 24.04.2024.