thun! Und doch liebe ich dich von ganzem Her¬ zen und wenn du zum Beweis dafür verlangtest, ich sollte mir von dir ein Messer in die Brust stoßen lassen, so würde ich in diesem Augenblicke ganz still dazu halten und mein Blut ruhig auf deinen Schooß fließen lassen!" Ich erschrak so¬ gleich über diesen Worten und entdeckte zugleich, daß sie nichts weniger als übertrieben, sondern ganz der Empfindung gemäß waren, die ich von jeher für Judith unbewußt getragen. Mit mei¬ nen Liebkosungen plötzlich inne haltend, ließ ich die Hand auf ihrer Wange liegen und in diesem Augenblicke fühlte ich eine Thräne darauf fallen. Zugleich seufzte sie und sagte: "Was thue ich mit deinem Blute! -- O! nie hat ein Mann gewünscht, brav, klar und lauter vor mir zu er¬ scheinen und doch liebe ich die Wahrheit wie mich selbst!" Betrübt sagte ich: "Aber ich könnte doch nicht dein ernsthafter Liebhaber oder gar dein Mann sein?" --"O das weiß ich wohl und fällt mir auch gar nicht ein!" erwiederte sie, "ich will dir auch sagen, was du von mir zu denken hast! Ich habe dich zu mir gelockt, erstens, weil
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thun! Und doch liebe ich dich von ganzem Her¬ zen und wenn du zum Beweis dafuͤr verlangteſt, ich ſollte mir von dir ein Meſſer in die Bruſt ſtoßen laſſen, ſo wuͤrde ich in dieſem Augenblicke ganz ſtill dazu halten und mein Blut ruhig auf deinen Schooß fließen laſſen!« Ich erſchrak ſo¬ gleich uͤber dieſen Worten und entdeckte zugleich, daß ſie nichts weniger als uͤbertrieben, ſondern ganz der Empfindung gemaͤß waren, die ich von jeher fuͤr Judith unbewußt getragen. Mit mei¬ nen Liebkoſungen ploͤtzlich inne haltend, ließ ich die Hand auf ihrer Wange liegen und in dieſem Augenblicke fuͤhlte ich eine Thraͤne darauf fallen. Zugleich ſeufzte ſie und ſagte: »Was thue ich mit deinem Blute! — O! nie hat ein Mann gewuͤnſcht, brav, klar und lauter vor mir zu er¬ ſcheinen und doch liebe ich die Wahrheit wie mich ſelbſt!« Betruͤbt ſagte ich: »Aber ich koͤnnte doch nicht dein ernſthafter Liebhaber oder gar dein Mann ſein?« —»O das weiß ich wohl und faͤllt mir auch gar nicht ein!« erwiederte ſie, »ich will dir auch ſagen, was du von mir zu denken haſt! Ich habe dich zu mir gelockt, erſtens, weil
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thun! Und doch liebe ich dich von ganzem Her¬
zen und wenn du zum Beweis dafuͤr verlangteſt,
ich ſollte mir von dir ein Meſſer in die Bruſt
ſtoßen laſſen, ſo wuͤrde ich in dieſem Augenblicke
ganz ſtill dazu halten und mein Blut ruhig auf
deinen Schooß fließen laſſen!« Ich erſchrak ſo¬
gleich uͤber dieſen Worten und entdeckte zugleich,
daß ſie nichts weniger als uͤbertrieben, ſondern
ganz der Empfindung gemaͤß waren, die ich von
jeher fuͤr Judith unbewußt getragen. Mit mei¬
nen Liebkoſungen ploͤtzlich inne haltend, ließ ich
die Hand auf ihrer Wange liegen und in dieſem
Augenblicke fuͤhlte ich eine Thraͤne darauf fallen.
Zugleich ſeufzte ſie und ſagte: »Was thue ich
mit deinem Blute! — O! nie hat ein Mann
gewuͤnſcht, brav, klar und lauter vor mir zu er¬
ſcheinen und doch liebe ich die Wahrheit wie mich
ſelbſt!« Betruͤbt ſagte ich: »Aber ich koͤnnte
doch nicht dein ernſthafter Liebhaber oder gar
dein Mann ſein?« —»O das weiß ich wohl und
faͤllt mir auch gar nicht ein!« erwiederte ſie, »ich
will dir auch ſagen, was du von mir zu denken
haſt! Ich habe dich zu mir gelockt, erſtens, weil
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 451. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/461>, abgerufen am 24.11.2024.
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