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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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gangen, die dich gelockt hätte? Besinne dich ein¬
mal hierauf!" Ich besann mich in der That und
sagte dann ganz entschieden: "Nein, mit gar kei¬
ner!" "Also bist du mir auch ein Bischen gut?"
fuhr sie fort. Jetzt gerieth ich in die größte Ver¬
legenheit; denn die Frage zu bejahen, fühlte ich
nun deutlich, würde die erste eigentliche Untreue
gewesen sein und doch, indem es mich trieb, ehr¬
lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein
Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch
nicht anders und sagte: "Ja -- aber doch nicht
so, wie der Anna!" -- "Wie denn?" Ich um¬
schlang sie ungestüm und indem ich sie streichelte
und ihr auf alle Weise schmeichelte, fuhr ich fort:
"Siehst du! für die Anna möchte ich alles Mög¬
liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich
möchte für sie ein braver und ehrenvoller Mann
werden, an welchem Alles durch und durch rein
und klar ist, daß sie mich durchschauen dürfte wie
einen Krystall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬
ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben,
auch wenn ich von heute an sie nicht mehr sehen
würde! Dies Alles könnte ich für dich nicht

gangen, die dich gelockt haͤtte? Beſinne dich ein¬
mal hierauf!« Ich beſann mich in der That und
ſagte dann ganz entſchieden: »Nein, mit gar kei¬
ner!« »Alſo biſt du mir auch ein Bischen gut?«
fuhr ſie fort. Jetzt gerieth ich in die groͤßte Ver¬
legenheit; denn die Frage zu bejahen, fuͤhlte ich
nun deutlich, wuͤrde die erſte eigentliche Untreue
geweſen ſein und doch, indem es mich trieb, ehr¬
lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein
Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch
nicht anders und ſagte: »Ja — aber doch nicht
ſo, wie der Anna!« — »Wie denn?« Ich um¬
ſchlang ſie ungeſtuͤm und indem ich ſie ſtreichelte
und ihr auf alle Weiſe ſchmeichelte, fuhr ich fort:
»Siehſt du! fuͤr die Anna moͤchte ich alles Moͤg¬
liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich
moͤchte fuͤr ſie ein braver und ehrenvoller Mann
werden, an welchem Alles durch und durch rein
und klar iſt, daß ſie mich durchſchauen duͤrfte wie
einen Kryſtall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬
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[450/0460] gangen, die dich gelockt haͤtte? Beſinne dich ein¬ mal hierauf!« Ich beſann mich in der That und ſagte dann ganz entſchieden: »Nein, mit gar kei¬ ner!« »Alſo biſt du mir auch ein Bischen gut?« fuhr ſie fort. Jetzt gerieth ich in die groͤßte Ver¬ legenheit; denn die Frage zu bejahen, fuͤhlte ich nun deutlich, wuͤrde die erſte eigentliche Untreue geweſen ſein und doch, indem es mich trieb, ehr¬ lich nachzudenken, konnte ich noch weniger ein Nein hervorbringen. Endlich konnte ich doch nicht anders und ſagte: »Ja — aber doch nicht ſo, wie der Anna!« — »Wie denn?« Ich um¬ ſchlang ſie ungeſtuͤm und indem ich ſie ſtreichelte und ihr auf alle Weiſe ſchmeichelte, fuhr ich fort: »Siehſt du! fuͤr die Anna moͤchte ich alles Moͤg¬ liche ertragen und jedem Winke gehorchen; ich moͤchte fuͤr ſie ein braver und ehrenvoller Mann werden, an welchem Alles durch und durch rein und klar iſt, daß ſie mich durchſchauen duͤrfte wie einen Kryſtall, Nichts thun, ohne ihrer zu geden¬ ken und in alle Ewigkeit mit ihrer Seele leben, auch wenn ich von heute an ſie nicht mehr ſehen wuͤrde! Dies Alles koͤnnte ich fuͤr dich nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 450. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/460>, abgerufen am 24.11.2024.