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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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schickt und schwachmüthig verpfuscht zu haben, und
stellte mir zugleich voll Eitelkeit vor, daß es Anna
eben so ergehe und sie vielleicht schlaflos auf ih¬
rem Lager sich nach mir sehne; denn es mochte
schon zehn Uhr vorüber sein. Unversehens war
ich in dem Flecken angelangt, welcher von Musik
ertönte, und als ich in einen übervollen Saal
trat, in welchem die blühenden Paare sich dreh¬
ten, da klopfte mein Blut immer unwilliger und
heißer; ich bedachte nicht, daß wir die einzigen
sechszehnjährigen Leutchen gewesen wären, die sich
im offenkundigen Vereine zeigten, noch weniger,
daß unsere heutigen Erlebnisse zehnmal schöner
und bedeutsamer waren, als Alles, was diese
lärmende Jugend hier genießen konnte, und daß
ich mich in der Erinnerung derselben reich und
glücklich genug hätte fühlen sollen. Ich sah nur
die Freude der Zwanzigjährigen, der Verlobten
und Selbständigen, und maßte mir ihr Recht an,
ohne im Mindesten zu ahnen, daß mein prahleri¬
sches Blut, sobald ich Anna wirklich zur Seite
gehabt hätte, augenblicklich wieder zahm und
sittig geworden wäre. Es gereicht mir auch nicht

ſchickt und ſchwachmuͤthig verpfuſcht zu haben, und
ſtellte mir zugleich voll Eitelkeit vor, daß es Anna
eben ſo ergehe und ſie vielleicht ſchlaflos auf ih¬
rem Lager ſich nach mir ſehne; denn es mochte
ſchon zehn Uhr voruͤber ſein. Unverſehens war
ich in dem Flecken angelangt, welcher von Muſik
ertoͤnte, und als ich in einen uͤbervollen Saal
trat, in welchem die bluͤhenden Paare ſich dreh¬
ten, da klopfte mein Blut immer unwilliger und
heißer; ich bedachte nicht, daß wir die einzigen
ſechszehnjaͤhrigen Leutchen geweſen waͤren, die ſich
im offenkundigen Vereine zeigten, noch weniger,
daß unſere heutigen Erlebniſſe zehnmal ſchoͤner
und bedeutſamer waren, als Alles, was dieſe
laͤrmende Jugend hier genießen konnte, und daß
ich mich in der Erinnerung derſelben reich und
gluͤcklich genug haͤtte fuͤhlen ſollen. Ich ſah nur
die Freude der Zwanzigjaͤhrigen, der Verlobten
und Selbſtaͤndigen, und maßte mir ihr Recht an,
ohne im Mindeſten zu ahnen, daß mein prahleri¬
ſches Blut, ſobald ich Anna wirklich zur Seite
gehabt haͤtte, augenblicklich wieder zahm und
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[425/0435] ſchickt und ſchwachmuͤthig verpfuſcht zu haben, und ſtellte mir zugleich voll Eitelkeit vor, daß es Anna eben ſo ergehe und ſie vielleicht ſchlaflos auf ih¬ rem Lager ſich nach mir ſehne; denn es mochte ſchon zehn Uhr voruͤber ſein. Unverſehens war ich in dem Flecken angelangt, welcher von Muſik ertoͤnte, und als ich in einen uͤbervollen Saal trat, in welchem die bluͤhenden Paare ſich dreh¬ ten, da klopfte mein Blut immer unwilliger und heißer; ich bedachte nicht, daß wir die einzigen ſechszehnjaͤhrigen Leutchen geweſen waͤren, die ſich im offenkundigen Vereine zeigten, noch weniger, daß unſere heutigen Erlebniſſe zehnmal ſchoͤner und bedeutſamer waren, als Alles, was dieſe laͤrmende Jugend hier genießen konnte, und daß ich mich in der Erinnerung derſelben reich und gluͤcklich genug haͤtte fuͤhlen ſollen. Ich ſah nur die Freude der Zwanzigjaͤhrigen, der Verlobten und Selbſtaͤndigen, und maßte mir ihr Recht an, ohne im Mindeſten zu ahnen, daß mein prahleri¬ ſches Blut, ſobald ich Anna wirklich zur Seite gehabt haͤtte, augenblicklich wieder zahm und ſittig geworden waͤre. Es gereicht mir auch nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 425. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/435>, abgerufen am 23.11.2024.