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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Den Schulmeister unterbrechend, fragte ich,
ob denn der Statthalter als ein Mann von sol¬
chen Kenntnissen und solchem Verstande sich nicht
reichlicher durch eine Privatthätigkeit ernähren
könnte als durch ein Amt? Worauf er ant¬
wortete: daß er dies nicht kann, oder nicht zu
können glaubt, ist wahrscheinlich eben das Ge¬
heimniß seiner Lebenslage! Der freie Erwerb ist
eine Sache, für welche manchen Menschen der
Sinn sehr spät, manchen gar nie aufgeht. Vie¬
len ist es ein einfacher Tick, dessen Verständniß
ihnen durch ein Handumdrehen, durch Zufall und
Glück gekommen, Vielen ist es eine langsam zu
erringende Kunst. Wer nicht in seiner Jugend
durch Uebung und Vorbild seiner Umgebung, so
zu sagen, durch die Ueberlieferung seines Geburts¬
hauses, oder sonst im rechten Moment den rech¬
ten
Fleck erwischt, wo der Tick liegt, der muß manch¬
mal bis in sein vierzigstes oder fünfzigstes Jahr
ein umhergeworfener und bettelhafter Mensch sein,
oft stirbt er als ein sogenannter Lump. Viele
Personen des Staates, welche zeitlebens tüchtige
Angestellte waren, haben keinen Begriff vom Er¬

Den Schulmeiſter unterbrechend, fragte ich,
ob denn der Statthalter als ein Mann von ſol¬
chen Kenntniſſen und ſolchem Verſtande ſich nicht
reichlicher durch eine Privatthaͤtigkeit ernaͤhren
koͤnnte als durch ein Amt? Worauf er ant¬
wortete: daß er dies nicht kann, oder nicht zu
koͤnnen glaubt, iſt wahrſcheinlich eben das Ge¬
heimniß ſeiner Lebenslage! Der freie Erwerb iſt
eine Sache, fuͤr welche manchen Menſchen der
Sinn ſehr ſpaͤt, manchen gar nie aufgeht. Vie¬
len iſt es ein einfacher Tick, deſſen Verſtaͤndniß
ihnen durch ein Handumdrehen, durch Zufall und
Gluͤck gekommen, Vielen iſt es eine langſam zu
erringende Kunſt. Wer nicht in ſeiner Jugend
durch Uebung und Vorbild ſeiner Umgebung, ſo
zu ſagen, durch die Ueberlieferung ſeines Geburts¬
hauſes, oder ſonſt im rechten Moment den rech¬
ten
Fleck erwiſcht, wo der Tick liegt, der muß manch¬
mal bis in ſein vierzigſtes oder fuͤnfzigſtes Jahr
ein umhergeworfener und bettelhafter Menſch ſein,
oft ſtirbt er als ein ſogenannter Lump. Viele
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[399/0409] Den Schulmeiſter unterbrechend, fragte ich, ob denn der Statthalter als ein Mann von ſol¬ chen Kenntniſſen und ſolchem Verſtande ſich nicht reichlicher durch eine Privatthaͤtigkeit ernaͤhren koͤnnte als durch ein Amt? Worauf er ant¬ wortete: daß er dies nicht kann, oder nicht zu koͤnnen glaubt, iſt wahrſcheinlich eben das Ge¬ heimniß ſeiner Lebenslage! Der freie Erwerb iſt eine Sache, fuͤr welche manchen Menſchen der Sinn ſehr ſpaͤt, manchen gar nie aufgeht. Vie¬ len iſt es ein einfacher Tick, deſſen Verſtaͤndniß ihnen durch ein Handumdrehen, durch Zufall und Gluͤck gekommen, Vielen iſt es eine langſam zu erringende Kunſt. Wer nicht in ſeiner Jugend durch Uebung und Vorbild ſeiner Umgebung, ſo zu ſagen, durch die Ueberlieferung ſeines Geburts¬ hauſes, oder ſonſt im rechten Moment den rech¬ ten Fleck erwiſcht, wo der Tick liegt, der muß manch¬ mal bis in ſein vierzigſtes oder fuͤnfzigſtes Jahr ein umhergeworfener und bettelhafter Menſch ſein, oft ſtirbt er als ein ſogenannter Lump. Viele Perſonen des Staates, welche zeitlebens tuͤchtige Angeſtellte waren, haben keinen Begriff vom Er¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 399. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/409>, abgerufen am 27.11.2024.