Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

personen von Profession sind. Er konnte aber
als eine Ehrenrettung und Verklärung dieser ver¬
rufenen Lebensart gelten; den ersten Schritt hatte
er in der Jugend und in der Noth gethan, und als
es nachher nicht mehr zu ändern war, zog er sich
wenigstens mit Ehre und wahrer Klugheit aus
der Sache. Der Schulmeister pflegte von ihm
zu sagen: er sei Einer von den Wenigen, die
durch das Regieren weise werden. Doch alle
Weisheit half ihm jetzt nicht, den Holzhänd¬
ler und den Wirth zu einer Verständigung zu
bringen, damit er der Regierung berichten könne,
welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein
gewünscht werde. Jeder der beiden Männer ver¬
theidigte hartnäckig seinen Vortheil; der Holz¬
händler hielt sich schlechtweg an den Vernunft¬
grund, daß die Wahl zwischen einer ebenen und
geraden Linie und zwischen einem Berge heutzutage
unzweifelhaft sein müsse, und barg so seinen eige¬
nen Vortheil hinter die Vernunft; auch ließ er
merken, daß er als Mitglied der Behörde der¬
selben zum Siege zu verhelfen hoffe. Der Wirth
dagegen sagte geradezu, er wolle sehen, ob er es

perſonen von Profeſſion ſind. Er konnte aber
als eine Ehrenrettung und Verklaͤrung dieſer ver¬
rufenen Lebensart gelten; den erſten Schritt hatte
er in der Jugend und in der Noth gethan, und als
es nachher nicht mehr zu aͤndern war, zog er ſich
wenigſtens mit Ehre und wahrer Klugheit aus
der Sache. Der Schulmeiſter pflegte von ihm
zu ſagen: er ſei Einer von den Wenigen, die
durch das Regieren weiſe werden. Doch alle
Weisheit half ihm jetzt nicht, den Holzhaͤnd¬
ler und den Wirth zu einer Verſtaͤndigung zu
bringen, damit er der Regierung berichten koͤnne,
welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein
gewuͤnſcht werde. Jeder der beiden Maͤnner ver¬
theidigte hartnaͤckig ſeinen Vortheil; der Holz¬
haͤndler hielt ſich ſchlechtweg an den Vernunft¬
grund, daß die Wahl zwiſchen einer ebenen und
geraden Linie und zwiſchen einem Berge heutzutage
unzweifelhaft ſein muͤſſe, und barg ſo ſeinen eige¬
nen Vortheil hinter die Vernunft; auch ließ er
merken, daß er als Mitglied der Behoͤrde der¬
ſelben zum Siege zu verhelfen hoffe. Der Wirth
dagegen ſagte geradezu, er wolle ſehen, ob er es

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0398" n="388"/>
per&#x017F;onen von Profe&#x017F;&#x017F;ion &#x017F;ind. Er konnte aber<lb/>
als eine Ehrenrettung und Verkla&#x0364;rung die&#x017F;er ver¬<lb/>
rufenen Lebensart gelten; den er&#x017F;ten Schritt hatte<lb/>
er in der Jugend und in der Noth gethan, und als<lb/>
es nachher nicht mehr zu a&#x0364;ndern war, zog er &#x017F;ich<lb/>
wenig&#x017F;tens mit Ehre und wahrer Klugheit aus<lb/>
der Sache. Der Schulmei&#x017F;ter pflegte von ihm<lb/>
zu &#x017F;agen: er &#x017F;ei Einer von den Wenigen, die<lb/>
durch das Regieren wei&#x017F;e werden. Doch alle<lb/>
Weisheit half ihm jetzt nicht, den Holzha&#x0364;nd¬<lb/>
ler und den Wirth zu einer Ver&#x017F;ta&#x0364;ndigung zu<lb/>
bringen, damit er der Regierung berichten ko&#x0364;nne,<lb/>
welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein<lb/>
gewu&#x0364;n&#x017F;cht werde. Jeder der beiden Ma&#x0364;nner ver¬<lb/>
theidigte hartna&#x0364;ckig &#x017F;einen Vortheil; der Holz¬<lb/>
ha&#x0364;ndler hielt &#x017F;ich &#x017F;chlechtweg an den Vernunft¬<lb/>
grund, daß die Wahl zwi&#x017F;chen einer ebenen und<lb/>
geraden Linie und zwi&#x017F;chen einem Berge heutzutage<lb/>
unzweifelhaft &#x017F;ein mu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e, und barg &#x017F;o &#x017F;einen eige¬<lb/>
nen Vortheil hinter die Vernunft; auch ließ er<lb/>
merken, daß er als Mitglied der Beho&#x0364;rde der¬<lb/>
&#x017F;elben zum Siege zu verhelfen hoffe. Der Wirth<lb/>
dagegen &#x017F;agte geradezu, er wolle &#x017F;ehen, ob er es<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[388/0398] perſonen von Profeſſion ſind. Er konnte aber als eine Ehrenrettung und Verklaͤrung dieſer ver¬ rufenen Lebensart gelten; den erſten Schritt hatte er in der Jugend und in der Noth gethan, und als es nachher nicht mehr zu aͤndern war, zog er ſich wenigſtens mit Ehre und wahrer Klugheit aus der Sache. Der Schulmeiſter pflegte von ihm zu ſagen: er ſei Einer von den Wenigen, die durch das Regieren weiſe werden. Doch alle Weisheit half ihm jetzt nicht, den Holzhaͤnd¬ ler und den Wirth zu einer Verſtaͤndigung zu bringen, damit er der Regierung berichten koͤnne, welcher Zug der Straße in der Gegend allgemein gewuͤnſcht werde. Jeder der beiden Maͤnner ver¬ theidigte hartnaͤckig ſeinen Vortheil; der Holz¬ haͤndler hielt ſich ſchlechtweg an den Vernunft¬ grund, daß die Wahl zwiſchen einer ebenen und geraden Linie und zwiſchen einem Berge heutzutage unzweifelhaft ſein muͤſſe, und barg ſo ſeinen eige¬ nen Vortheil hinter die Vernunft; auch ließ er merken, daß er als Mitglied der Behoͤrde der¬ ſelben zum Siege zu verhelfen hoffe. Der Wirth dagegen ſagte geradezu, er wolle ſehen, ob er es

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/398
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 388. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/398>, abgerufen am 17.05.2024.