schmuggelt worden, und als Geßler den Jungen grimmig anfuhr, was das zu bedeuten hätte, er¬ wiederte dieser keck: Herr! Mein Vater ist ein so guter Schütz, daß er sich schämen würde, auf einen so großen Apfel zu schießen! Legt mir einen auf, der nicht größer ist, als Euere Barm¬ herzigkeit und der Vater wird ihn um so besser treffen! Als der Tell schoß, schien es ihm fast leid zu thun, daß er nicht seine Kugelbüchse zur Hand hatte und nur einen blinden Theaterschuß absenden konnte. Doch zitterte er wirklich und unwillkürlich, indem er anlegte, so sehr war er von der Ehre durchdrungen, diese geheiligte Hand¬ lung darstellen zu dürfen. Und als er dem Ty¬ rannen den zweiten Pfeil drohend unter die Au¬ gen hielt, während alles Volk in athemloser Be¬ klemmung zusah, da zitterte seine Hand wieder mit dem Pfeile, er durchbohrte den Geßler mit den Augen und seine Stimme erhob sich einen Augenblick lang mit solcher Gewalt der Leiden¬ schaft, daß Geßler erblaßte und ein Schrecken über den ganzen Markt fuhr. Dann verbreitete sich ein frohes Gemurmel, tief tönend, man
ſchmuggelt worden, und als Geßler den Jungen grimmig anfuhr, was das zu bedeuten haͤtte, er¬ wiederte dieſer keck: Herr! Mein Vater iſt ein ſo guter Schuͤtz, daß er ſich ſchaͤmen wuͤrde, auf einen ſo großen Apfel zu ſchießen! Legt mir einen auf, der nicht groͤßer iſt, als Euere Barm¬ herzigkeit und der Vater wird ihn um ſo beſſer treffen! Als der Tell ſchoß, ſchien es ihm faſt leid zu thun, daß er nicht ſeine Kugelbuͤchſe zur Hand hatte und nur einen blinden Theaterſchuß abſenden konnte. Doch zitterte er wirklich und unwillkuͤrlich, indem er anlegte, ſo ſehr war er von der Ehre durchdrungen, dieſe geheiligte Hand¬ lung darſtellen zu duͤrfen. Und als er dem Ty¬ rannen den zweiten Pfeil drohend unter die Au¬ gen hielt, waͤhrend alles Volk in athemloſer Be¬ klemmung zuſah, da zitterte ſeine Hand wieder mit dem Pfeile, er durchbohrte den Geßler mit den Augen und ſeine Stimme erhob ſich einen Augenblick lang mit ſolcher Gewalt der Leiden¬ ſchaft, daß Geßler erblaßte und ein Schrecken uͤber den ganzen Markt fuhr. Dann verbreitete ſich ein frohes Gemurmel, tief toͤnend, man
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0375"n="365"/>ſchmuggelt worden, und als Geßler den Jungen<lb/>
grimmig anfuhr, was das zu bedeuten haͤtte, er¬<lb/>
wiederte dieſer keck: Herr! Mein Vater iſt ein<lb/>ſo guter Schuͤtz, daß er ſich ſchaͤmen wuͤrde, auf<lb/>
einen ſo großen Apfel zu ſchießen! Legt mir<lb/>
einen auf, der nicht groͤßer iſt, als Euere Barm¬<lb/>
herzigkeit und der Vater wird ihn um ſo beſſer<lb/>
treffen! Als der Tell ſchoß, ſchien es ihm faſt<lb/>
leid zu thun, daß er nicht ſeine Kugelbuͤchſe zur<lb/>
Hand hatte und nur einen blinden Theaterſchuß<lb/>
abſenden konnte. Doch zitterte er wirklich und<lb/>
unwillkuͤrlich, indem er anlegte, ſo ſehr war er<lb/>
von der Ehre durchdrungen, dieſe geheiligte Hand¬<lb/>
lung darſtellen zu duͤrfen. Und als er dem Ty¬<lb/>
rannen den zweiten Pfeil drohend unter die Au¬<lb/>
gen hielt, waͤhrend alles Volk in athemloſer Be¬<lb/>
klemmung zuſah, da zitterte ſeine Hand wieder<lb/>
mit dem Pfeile, er durchbohrte den Geßler mit<lb/>
den Augen und ſeine Stimme erhob ſich einen<lb/>
Augenblick lang mit ſolcher Gewalt der Leiden¬<lb/>ſchaft, daß Geßler erblaßte und ein Schrecken<lb/>
uͤber den ganzen Markt fuhr. Dann verbreitete<lb/>ſich ein frohes Gemurmel, tief toͤnend, man<lb/></p></div></body></text></TEI>
[365/0375]
ſchmuggelt worden, und als Geßler den Jungen
grimmig anfuhr, was das zu bedeuten haͤtte, er¬
wiederte dieſer keck: Herr! Mein Vater iſt ein
ſo guter Schuͤtz, daß er ſich ſchaͤmen wuͤrde, auf
einen ſo großen Apfel zu ſchießen! Legt mir
einen auf, der nicht groͤßer iſt, als Euere Barm¬
herzigkeit und der Vater wird ihn um ſo beſſer
treffen! Als der Tell ſchoß, ſchien es ihm faſt
leid zu thun, daß er nicht ſeine Kugelbuͤchſe zur
Hand hatte und nur einen blinden Theaterſchuß
abſenden konnte. Doch zitterte er wirklich und
unwillkuͤrlich, indem er anlegte, ſo ſehr war er
von der Ehre durchdrungen, dieſe geheiligte Hand¬
lung darſtellen zu duͤrfen. Und als er dem Ty¬
rannen den zweiten Pfeil drohend unter die Au¬
gen hielt, waͤhrend alles Volk in athemloſer Be¬
klemmung zuſah, da zitterte ſeine Hand wieder
mit dem Pfeile, er durchbohrte den Geßler mit
den Augen und ſeine Stimme erhob ſich einen
Augenblick lang mit ſolcher Gewalt der Leiden¬
ſchaft, daß Geßler erblaßte und ein Schrecken
uͤber den ganzen Markt fuhr. Dann verbreitete
ſich ein frohes Gemurmel, tief toͤnend, man
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 365. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/375>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.