tron und Heiliger, der nur in den Farben des Landes, in Sammet und Seide, mit wallenden Federn denkbar war. Der Schnitt seines Klei¬ des war aus dem sechszehnten Jahrhundert, so wie er überhaupt als alte Schweizertracht noch bei dem Volke gilt und aus den letzten großen Heldentagen der Schweizer herrührt. Sie pfleg¬ ten sich mit einer Last von Federn zu schmücken und sonst großen Aufwand zu treiben aus Beute und fremdem Gold und gingen so in den Tod für fremde Herren. Aber in seiner braven Ein¬ falt ahnte unser Tell die Ironie seines prächtigen Anzuges nicht; er trat mit seinem eigenen Kna¬ ben, der wie eine Art Genius aufgeputzt war, besonnen auf die Brücke und fragte nach der Verwirrung. Als man ihm die Gründe angab, setzte er dem Zöllner auseinander, daß er gar kein Recht habe, den Zoll zu erheben, indem sämmtliche Thiere nicht aus der Ferne kämen oder dahin gingen, sondern als im gewöhnlichen Verkehr zu betrachten seien. Der Zollmann aber, erpicht auf die vielen Kreuzer, beharrte spitzfindig darauf, daß die Thiere in einem großen Zuge los und
tron und Heiliger, der nur in den Farben des Landes, in Sammet und Seide, mit wallenden Federn denkbar war. Der Schnitt ſeines Klei¬ des war aus dem ſechszehnten Jahrhundert, ſo wie er uͤberhaupt als alte Schweizertracht noch bei dem Volke gilt und aus den letzten großen Heldentagen der Schweizer herruͤhrt. Sie pfleg¬ ten ſich mit einer Laſt von Federn zu ſchmuͤcken und ſonſt großen Aufwand zu treiben aus Beute und fremdem Gold und gingen ſo in den Tod fuͤr fremde Herren. Aber in ſeiner braven Ein¬ falt ahnte unſer Tell die Ironie ſeines praͤchtigen Anzuges nicht; er trat mit ſeinem eigenen Kna¬ ben, der wie eine Art Genius aufgeputzt war, beſonnen auf die Bruͤcke und fragte nach der Verwirrung. Als man ihm die Gruͤnde angab, ſetzte er dem Zoͤllner auseinander, daß er gar kein Recht habe, den Zoll zu erheben, indem ſaͤmmtliche Thiere nicht aus der Ferne kaͤmen oder dahin gingen, ſondern als im gewoͤhnlichen Verkehr zu betrachten ſeien. Der Zollmann aber, erpicht auf die vielen Kreuzer, beharrte ſpitzfindig darauf, daß die Thiere in einem großen Zuge los und
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tron und Heiliger, der nur in den Farben des
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Federn denkbar war. Der Schnitt ſeines Klei¬
des war aus dem ſechszehnten Jahrhundert, ſo
wie er uͤberhaupt als alte Schweizertracht noch
bei dem Volke gilt und aus den letzten großen
Heldentagen der Schweizer herruͤhrt. Sie pfleg¬
ten ſich mit einer Laſt von Federn zu ſchmuͤcken
und ſonſt großen Aufwand zu treiben aus Beute
und fremdem Gold und gingen ſo in den Tod
fuͤr fremde Herren. Aber in ſeiner braven Ein¬
falt ahnte unſer Tell die Ironie ſeines praͤchtigen
Anzuges nicht; er trat mit ſeinem eigenen Kna¬
ben, der wie eine Art Genius aufgeputzt war,
beſonnen auf die Bruͤcke und fragte nach der
Verwirrung. Als man ihm die Gruͤnde angab,
ſetzte er dem Zoͤllner auseinander, daß er gar
kein Recht habe, den Zoll zu erheben, indem
ſaͤmmtliche Thiere nicht aus der Ferne kaͤmen
oder dahin gingen, ſondern als im gewoͤhnlichen
Verkehr zu betrachten ſeien. Der Zollmann aber,
erpicht auf die vielen Kreuzer, beharrte ſpitzfindig
darauf, daß die Thiere in einem großen Zuge los und
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 358. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/368>, abgerufen am 23.11.2024.
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