also wohl sagen: ich will dies thun oder jenes lassen, ich will gut sein oder mich darüber hin¬ wegsetzen, und ich kann durch Treue und Uebung es vollführen; ich kann aber nie sagen: ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verschließen oder ich will mich ihr öffnen! Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil, was ich nicht einsehe, mir niemals wünschbar sein kann, weil ein klares Unglück, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Athmen für mich ist, während eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft für meine Seele wäre.
Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube macht selig! etwas Tiefes und Wahres, insofern es das Gefühl unschuldiger und naiver Zufrieden¬ heit bezeichnet, welches alle Menschen umfängt, wenn sie gern und leicht an das Gute, Schöne und Merkwürdige glauben, gegenüber denjenigen, welche aus Dünkel und Verbissenheit oder aus Selbstsucht Alles in Frage stellen und bemäkeln, was ihnen als gut, schön oder merkwürdig er¬ zählt wird. Wo das religiöse Glauben bei man¬ gelnder Ueberlegungskraft seinen Grund in jener
alſo wohl ſagen: ich will dies thun oder jenes laſſen, ich will gut ſein oder mich daruͤber hin¬ wegſetzen, und ich kann durch Treue und Uebung es vollfuͤhren; ich kann aber nie ſagen: ich will glauben oder nicht glauben; ich will mich einer Wahrheit verſchließen oder ich will mich ihr oͤffnen! Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil, was ich nicht einſehe, mir niemals wuͤnſchbar ſein kann, weil ein klares Ungluͤck, das ich begreife, noch immer eine lebendige Luft zum Athmen fuͤr mich iſt, waͤhrend eine Seligkeit, die ich nicht begriffe, Stickluft fuͤr meine Seele waͤre.
Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube macht ſelig! etwas Tiefes und Wahres, inſofern es das Gefuͤhl unſchuldiger und naiver Zufrieden¬ heit bezeichnet, welches alle Menſchen umfaͤngt, wenn ſie gern und leicht an das Gute, Schoͤne und Merkwuͤrdige glauben, gegenuͤber denjenigen, welche aus Duͤnkel und Verbiſſenheit oder aus Selbſtſucht Alles in Frage ſtellen und bemaͤkeln, was ihnen als gut, ſchoͤn oder merkwuͤrdig er¬ zaͤhlt wird. Wo das religioͤſe Glauben bei man¬ gelnder Ueberlegungskraft ſeinen Grund in jener
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0314"n="304"/>
alſo wohl ſagen: ich will dies thun oder jenes<lb/>
laſſen, ich will gut ſein oder mich daruͤber hin¬<lb/>
wegſetzen, und ich kann durch Treue und Uebung<lb/>
es vollfuͤhren; ich kann aber nie ſagen: ich will<lb/>
glauben oder nicht glauben; ich will mich einer<lb/>
Wahrheit verſchließen oder ich will mich ihr oͤffnen!<lb/>
Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil,<lb/>
was ich nicht einſehe, mir niemals wuͤnſchbar ſein<lb/>
kann, weil ein klares Ungluͤck, das ich begreife,<lb/>
noch immer eine lebendige Luft zum Athmen fuͤr<lb/>
mich iſt, waͤhrend eine Seligkeit, die ich nicht<lb/>
begriffe, Stickluft fuͤr meine Seele waͤre.</p><lb/><p>Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube<lb/>
macht ſelig! etwas Tiefes und Wahres, inſofern<lb/>
es das Gefuͤhl unſchuldiger und naiver Zufrieden¬<lb/>
heit bezeichnet, welches alle Menſchen umfaͤngt,<lb/>
wenn ſie gern und leicht an das Gute, Schoͤne<lb/>
und Merkwuͤrdige glauben, gegenuͤber denjenigen,<lb/>
welche aus Duͤnkel und Verbiſſenheit oder aus<lb/>
Selbſtſucht Alles in Frage ſtellen und bemaͤkeln,<lb/>
was ihnen als gut, ſchoͤn oder merkwuͤrdig er¬<lb/>
zaͤhlt wird. Wo das religioͤſe Glauben bei man¬<lb/>
gelnder Ueberlegungskraft ſeinen Grund in jener<lb/></p></div></body></text></TEI>
[304/0314]
alſo wohl ſagen: ich will dies thun oder jenes
laſſen, ich will gut ſein oder mich daruͤber hin¬
wegſetzen, und ich kann durch Treue und Uebung
es vollfuͤhren; ich kann aber nie ſagen: ich will
glauben oder nicht glauben; ich will mich einer
Wahrheit verſchließen oder ich will mich ihr oͤffnen!
Ich kann nicht einmal bitten um Glauben, weil,
was ich nicht einſehe, mir niemals wuͤnſchbar ſein
kann, weil ein klares Ungluͤck, das ich begreife,
noch immer eine lebendige Luft zum Athmen fuͤr
mich iſt, waͤhrend eine Seligkeit, die ich nicht
begriffe, Stickluft fuͤr meine Seele waͤre.
Dennoch liegt in dem Worte: der Glaube
macht ſelig! etwas Tiefes und Wahres, inſofern
es das Gefuͤhl unſchuldiger und naiver Zufrieden¬
heit bezeichnet, welches alle Menſchen umfaͤngt,
wenn ſie gern und leicht an das Gute, Schoͤne
und Merkwuͤrdige glauben, gegenuͤber denjenigen,
welche aus Duͤnkel und Verbiſſenheit oder aus
Selbſtſucht Alles in Frage ſtellen und bemaͤkeln,
was ihnen als gut, ſchoͤn oder merkwuͤrdig er¬
zaͤhlt wird. Wo das religioͤſe Glauben bei man¬
gelnder Ueberlegungskraft ſeinen Grund in jener
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 304. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/314>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.