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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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hätte, alles dieses nur, um das Vergnügen zu
genießen, daß an Ihn geglaubt würde, Er, der
seiner doch ziemlich sicher sein dürfte: so würde
diese ganze Procedur eine gemachte Komödie sein,
welche für mich dem Dasein Gottes, der Welt
und meiner selbst alles Tröstliche und Erfreuliche
benähme. Glaube! O wie unsäglich blöde klingt
mich dies Wort an! Es ist die allerverzwickteste
Erfindung, welche der Menschengeist machen
konnte in einer zugespitzten Lammslaune! Wenn
ich des Daseins Gottes und seiner Vorsehung
bedürftig und gewiß bin, wie entfernt ist dies
Gefühl von dem, was man Glauben nennt! Wie
sicher weiß ich, daß die Vorsehung über mir geht
gleich einem Stern am Himmel, der seinen Gang
thut, ob ich nach ihm sehe oder nicht nach ihm
sehe. Gott weiß, denn er ist allwissend, jeden
Gedanken, der in meinem Inneren aufsteigt, er
kennt den vorigen, aus welchem er hervorging,
und sieht den folgenden, in welchen er übergeht;
er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gege¬
ben, die ebenso unausweichlich ist, wie die Bahn
der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann

haͤtte, alles dieſes nur, um das Vergnuͤgen zu
genießen, daß an Ihn geglaubt wuͤrde, Er, der
ſeiner doch ziemlich ſicher ſein duͤrfte: ſo wuͤrde
dieſe ganze Procedur eine gemachte Komoͤdie ſein,
welche fuͤr mich dem Daſein Gottes, der Welt
und meiner ſelbſt alles Troͤſtliche und Erfreuliche
benaͤhme. Glaube! O wie unſaͤglich bloͤde klingt
mich dies Wort an! Es iſt die allerverzwickteſte
Erfindung, welche der Menſchengeiſt machen
konnte in einer zugeſpitzten Lammslaune! Wenn
ich des Daſeins Gottes und ſeiner Vorſehung
beduͤrftig und gewiß bin, wie entfernt iſt dies
Gefuͤhl von dem, was man Glauben nennt! Wie
ſicher weiß ich, daß die Vorſehung uͤber mir geht
gleich einem Stern am Himmel, der ſeinen Gang
thut, ob ich nach ihm ſehe oder nicht nach ihm
ſehe. Gott weiß, denn er iſt allwiſſend, jeden
Gedanken, der in meinem Inneren aufſteigt, er
kennt den vorigen, aus welchem er hervorging,
und ſieht den folgenden, in welchen er uͤbergeht;
er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gege¬
ben, die ebenſo unausweichlich iſt, wie die Bahn
der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann

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[303/0313] haͤtte, alles dieſes nur, um das Vergnuͤgen zu genießen, daß an Ihn geglaubt wuͤrde, Er, der ſeiner doch ziemlich ſicher ſein duͤrfte: ſo wuͤrde dieſe ganze Procedur eine gemachte Komoͤdie ſein, welche fuͤr mich dem Daſein Gottes, der Welt und meiner ſelbſt alles Troͤſtliche und Erfreuliche benaͤhme. Glaube! O wie unſaͤglich bloͤde klingt mich dies Wort an! Es iſt die allerverzwickteſte Erfindung, welche der Menſchengeiſt machen konnte in einer zugeſpitzten Lammslaune! Wenn ich des Daſeins Gottes und ſeiner Vorſehung beduͤrftig und gewiß bin, wie entfernt iſt dies Gefuͤhl von dem, was man Glauben nennt! Wie ſicher weiß ich, daß die Vorſehung uͤber mir geht gleich einem Stern am Himmel, der ſeinen Gang thut, ob ich nach ihm ſehe oder nicht nach ihm ſehe. Gott weiß, denn er iſt allwiſſend, jeden Gedanken, der in meinem Inneren aufſteigt, er kennt den vorigen, aus welchem er hervorging, und ſieht den folgenden, in welchen er uͤbergeht; er hat allen meinen Gedanken ihre Bahn gege¬ ben, die ebenſo unausweichlich iſt, wie die Bahn der Sterne und der Weg des Blutes; ich kann

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 303. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/313>, abgerufen am 25.11.2024.