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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Grundlehren, während ich auf das wunderbare
Gewand derselben, auf die biblischen Gestaltungen
der göttlichen Persönlichkeiten nicht achtete, und
ich weiß mich nicht einmal einer Zeit zu entsin¬
nen, wo ich darauf geachtet oder angefangen
hätte, nicht daran zu glauben. Desto mehr hatte
ich in meinem Herzen gegen jenen inneren Gehalt
zu eifern, welcher uns einzig unter der Bedin¬
gung zu Gut kommen sollte, daß wir an die
äußere Gestalt glaubten, und mein Herz be¬
hauptete, daß es jenen Gehalt mit auf die Welt
gebracht habe, so weit er brauchbar sei, und daß
der Erlöser in ihm erwache, sobald nur ein
zweites Herz hinzukomme. Meine unchristliche
und ungeistliche Gesinnung war mir damals
nicht klar und ich hielt mich halb und halb
selbst für unfromm und lachte dazu, indem ich
dabei doch keinerlei Schuld empfand. Die Sache
war aber die, daß ich schon lebhaft fühlte,
daß jener angeborne und berechtigte Gehalt
viel zu zarter Natur war, als daß er in
eine Staatsreligion gespannt oder auch nur mit
einem anderen als dem schlechtweg menschlichen

Grundlehren, waͤhrend ich auf das wunderbare
Gewand derſelben, auf die bibliſchen Geſtaltungen
der goͤttlichen Perſoͤnlichkeiten nicht achtete, und
ich weiß mich nicht einmal einer Zeit zu entſin¬
nen, wo ich darauf geachtet oder angefangen
haͤtte, nicht daran zu glauben. Deſto mehr hatte
ich in meinem Herzen gegen jenen inneren Gehalt
zu eifern, welcher uns einzig unter der Bedin¬
gung zu Gut kommen ſollte, daß wir an die
aͤußere Geſtalt glaubten, und mein Herz be¬
hauptete, daß es jenen Gehalt mit auf die Welt
gebracht habe, ſo weit er brauchbar ſei, und daß
der Erloͤſer in ihm erwache, ſobald nur ein
zweites Herz hinzukomme. Meine unchriſtliche
und ungeiſtliche Geſinnung war mir damals
nicht klar und ich hielt mich halb und halb
ſelbſt fuͤr unfromm und lachte dazu, indem ich
dabei doch keinerlei Schuld empfand. Die Sache
war aber die, daß ich ſchon lebhaft fuͤhlte,
daß jener angeborne und berechtigte Gehalt
viel zu zarter Natur war, als daß er in
eine Staatsreligion geſpannt oder auch nur mit
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[297/0307] Grundlehren, waͤhrend ich auf das wunderbare Gewand derſelben, auf die bibliſchen Geſtaltungen der goͤttlichen Perſoͤnlichkeiten nicht achtete, und ich weiß mich nicht einmal einer Zeit zu entſin¬ nen, wo ich darauf geachtet oder angefangen haͤtte, nicht daran zu glauben. Deſto mehr hatte ich in meinem Herzen gegen jenen inneren Gehalt zu eifern, welcher uns einzig unter der Bedin¬ gung zu Gut kommen ſollte, daß wir an die aͤußere Geſtalt glaubten, und mein Herz be¬ hauptete, daß es jenen Gehalt mit auf die Welt gebracht habe, ſo weit er brauchbar ſei, und daß der Erloͤſer in ihm erwache, ſobald nur ein zweites Herz hinzukomme. Meine unchriſtliche und ungeiſtliche Geſinnung war mir damals nicht klar und ich hielt mich halb und halb ſelbſt fuͤr unfromm und lachte dazu, indem ich dabei doch keinerlei Schuld empfand. Die Sache war aber die, daß ich ſchon lebhaft fuͤhlte, daß jener angeborne und berechtigte Gehalt viel zu zarter Natur war, als daß er in eine Staatsreligion geſpannt oder auch nur mit einem anderen als dem ſchlechtweg menſchlichen

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/307>, abgerufen am 24.11.2024.