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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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dessen kam es mir wunderlich vor, daß kein
Mensch unsere seltsame Haltung zu bemerken
schien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte,
daß wir auch gar nie etwas zu einander sagten.
Die älteste Base, Margot, hatte sich diesen
Sommer mit dem jungen Müller verlobt, wel¬
cher ein stattlicher Reitersmann war, die mittlere
duldete offen die Bewerbungen eines reichen
Bauernsohnes, und die jüngste, ein Ding von
16 Jahren, welches sich im Kriege immer am
wildesten und feindseligsten geberdet, war un¬
mittelbar oder fast während eines der hitzigsten
Gefechte überrascht worden, wie sie in einer
Laube sich schnell von dem Philosophen küssen
ließ; die Wolken der Zwietracht hatten sich daher
verzogen, der allgemeine Friede war hergestellt,
nur zwischen mir und Anna, welche nie im
Kriege gelegen mit einander, war auch kein
Friede oder vielmehr ein sehr stiller, denn unser
Verhältniß blieb sich immer gleich. Anna hatte
die erste äußere Garnitur aus dem Welschland
schon abgelegt und war wieder frischer und freier
geworden; allein sie blieb doch ein feines und

deſſen kam es mir wunderlich vor, daß kein
Menſch unſere ſeltſame Haltung zu bemerken
ſchien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte,
daß wir auch gar nie etwas zu einander ſagten.
Die aͤlteſte Baſe, Margot, hatte ſich dieſen
Sommer mit dem jungen Muͤller verlobt, wel¬
cher ein ſtattlicher Reitersmann war, die mittlere
duldete offen die Bewerbungen eines reichen
Bauernſohnes, und die juͤngſte, ein Ding von
16 Jahren, welches ſich im Kriege immer am
wildeſten und feindſeligſten geberdet, war un¬
mittelbar oder faſt waͤhrend eines der hitzigſten
Gefechte uͤberraſcht worden, wie ſie in einer
Laube ſich ſchnell von dem Philoſophen kuͤſſen
ließ; die Wolken der Zwietracht hatten ſich daher
verzogen, der allgemeine Friede war hergeſtellt,
nur zwiſchen mir und Anna, welche nie im
Kriege gelegen mit einander, war auch kein
Friede oder vielmehr ein ſehr ſtiller, denn unſer
Verhaͤltniß blieb ſich immer gleich. Anna hatte
die erſte aͤußere Garnitur aus dem Welſchland
ſchon abgelegt und war wieder friſcher und freier
geworden; allein ſie blieb doch ein feines und

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[266/0276] deſſen kam es mir wunderlich vor, daß kein Menſch unſere ſeltſame Haltung zu bemerken ſchien, obgleich es doch gewiß auffallen mußte, daß wir auch gar nie etwas zu einander ſagten. Die aͤlteſte Baſe, Margot, hatte ſich dieſen Sommer mit dem jungen Muͤller verlobt, wel¬ cher ein ſtattlicher Reitersmann war, die mittlere duldete offen die Bewerbungen eines reichen Bauernſohnes, und die juͤngſte, ein Ding von 16 Jahren, welches ſich im Kriege immer am wildeſten und feindſeligſten geberdet, war un¬ mittelbar oder faſt waͤhrend eines der hitzigſten Gefechte uͤberraſcht worden, wie ſie in einer Laube ſich ſchnell von dem Philoſophen kuͤſſen ließ; die Wolken der Zwietracht hatten ſich daher verzogen, der allgemeine Friede war hergeſtellt, nur zwiſchen mir und Anna, welche nie im Kriege gelegen mit einander, war auch kein Friede oder vielmehr ein ſehr ſtiller, denn unſer Verhaͤltniß blieb ſich immer gleich. Anna hatte die erſte aͤußere Garnitur aus dem Welſchland ſchon abgelegt und war wieder friſcher und freier geworden; allein ſie blieb doch ein feines und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 266. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/276>, abgerufen am 23.11.2024.