der Hand zu nehmen und anzureden. Allein dies Letztere schien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmöglichkeit; lieber hätte ich einen Drachen geküßt, als so leichtsinnig die Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur an diesem Drachenkuß, an diesem ersten Worte hing, die schöne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wieder zu gewinnen. Allein wer konnte wissen! Ein Sperling in der Hand ist besser, als ein Adler auf dem Dache! Lieber noch dies stumme Nahsein sicher behalten, als durch die beleidigte Ehre genöthigt zu sein, auf immer zu scheiden! Dadurch ward ich immer mehr und mehr verhärtet, und zuletzt ward es mir un¬ möglich, das gleichgültigste Wort an Anna zu richten; so kam es, als sie auch nichts zu mir sagte, daß nach einer sehr stillschweigenden Ueber¬ einkunft wir für einander gar nicht da waren, ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam eben so oft zu uns herüber, wenn ich da war, wie sonst, und ich besuchte den Schulmeister nach wie vor, wo sie sich dann zufrieden herumzubewegen schien, ohne sich um mich zu bekümmern. In¬
17 *
der Hand zu nehmen und anzureden. Allein dies Letztere ſchien mir eben noch himmelweit zu liegen und eine reine Unmoͤglichkeit; lieber haͤtte ich einen Drachen gekuͤßt, als ſo leichtſinnig die Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur an dieſem Drachenkuß, an dieſem erſten Worte hing, die ſchoͤne Jungfrau Vertraulichkeit aus der Verzauberung wieder zu gewinnen. Allein wer konnte wiſſen! Ein Sperling in der Hand iſt beſſer, als ein Adler auf dem Dache! Lieber noch dies ſtumme Nahſein ſicher behalten, als durch die beleidigte Ehre genoͤthigt zu ſein, auf immer zu ſcheiden! Dadurch ward ich immer mehr und mehr verhaͤrtet, und zuletzt ward es mir un¬ moͤglich, das gleichguͤltigſte Wort an Anna zu richten; ſo kam es, als ſie auch nichts zu mir ſagte, daß nach einer ſehr ſtillſchweigenden Ueber¬ einkunft wir fuͤr einander gar nicht da waren, ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam eben ſo oft zu uns heruͤber, wenn ich da war, wie ſonſt, und ich beſuchte den Schulmeiſter nach wie vor, wo ſie ſich dann zufrieden herumzubewegen ſchien, ohne ſich um mich zu bekuͤmmern. In¬
17 *
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0275"n="265"/>
der Hand zu nehmen und anzureden. Allein<lb/>
dies Letztere ſchien mir eben noch himmelweit zu<lb/>
liegen und eine reine Unmoͤglichkeit; lieber haͤtte<lb/>
ich einen Drachen gekuͤßt, als ſo leichtſinnig die<lb/>
Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur<lb/>
an dieſem Drachenkuß, an dieſem erſten Worte<lb/>
hing, die ſchoͤne Jungfrau Vertraulichkeit aus der<lb/>
Verzauberung wieder zu gewinnen. Allein wer<lb/>
konnte wiſſen! Ein Sperling in der Hand iſt<lb/>
beſſer, als ein Adler auf dem Dache! Lieber<lb/>
noch dies ſtumme Nahſein ſicher behalten, als<lb/>
durch die beleidigte Ehre genoͤthigt zu ſein, auf<lb/>
immer zu ſcheiden! Dadurch ward ich immer mehr<lb/>
und mehr verhaͤrtet, und zuletzt ward es mir un¬<lb/>
moͤglich, das gleichguͤltigſte Wort an Anna zu<lb/>
richten; ſo kam es, als ſie auch nichts zu mir<lb/>ſagte, daß nach einer ſehr ſtillſchweigenden Ueber¬<lb/>
einkunft wir fuͤr einander gar nicht da waren,<lb/>
ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam eben<lb/>ſo oft zu uns heruͤber, wenn ich da war, wie<lb/>ſonſt, und ich beſuchte den Schulmeiſter nach wie<lb/>
vor, wo ſie ſich dann zufrieden herumzubewegen<lb/>ſchien, ohne ſich um mich zu bekuͤmmern. In¬<lb/><fwplace="bottom"type="sig">17 *<lb/></fw></p></div></body></text></TEI>
[265/0275]
der Hand zu nehmen und anzureden. Allein
dies Letztere ſchien mir eben noch himmelweit zu
liegen und eine reine Unmoͤglichkeit; lieber haͤtte
ich einen Drachen gekuͤßt, als ſo leichtſinnig die
Schranke gebrochen, obgleich es vielleicht nur
an dieſem Drachenkuß, an dieſem erſten Worte
hing, die ſchoͤne Jungfrau Vertraulichkeit aus der
Verzauberung wieder zu gewinnen. Allein wer
konnte wiſſen! Ein Sperling in der Hand iſt
beſſer, als ein Adler auf dem Dache! Lieber
noch dies ſtumme Nahſein ſicher behalten, als
durch die beleidigte Ehre genoͤthigt zu ſein, auf
immer zu ſcheiden! Dadurch ward ich immer mehr
und mehr verhaͤrtet, und zuletzt ward es mir un¬
moͤglich, das gleichguͤltigſte Wort an Anna zu
richten; ſo kam es, als ſie auch nichts zu mir
ſagte, daß nach einer ſehr ſtillſchweigenden Ueber¬
einkunft wir fuͤr einander gar nicht da waren,
ohne uns deswegen zu meiden. Sie kam eben
ſo oft zu uns heruͤber, wenn ich da war, wie
ſonſt, und ich beſuchte den Schulmeiſter nach wie
vor, wo ſie ſich dann zufrieden herumzubewegen
ſchien, ohne ſich um mich zu bekuͤmmern. In¬
17 *
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 265. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/275>, abgerufen am 23.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.