wie eine reizende Pomona, daß ein Gewirre von Form, Farbe und Duft sich auf der blanken Ta¬ fel verbreitete. Dann grüßte sie mich mit städti¬ schem Accente, indessen sie aus dem Schatten eines breiten Strohhutes neugierig auf mich her¬ absah, sagte, sie hätte Durst, holte ein Becken mit Milch herbei, füllte eine Schale davon und bot sie mir an; ich wollte sie ausschlagen, da ich schon genug genossen hatte, allein sie sagte la¬ chend: "Trinkt doch!" und machte Anstalt, mir das Gefäß an den Mund zu halten. Daher nahm ich es und schlürfte nun den marmorwei¬ ßen und kühlen Trank mit Einem Zuge hinunter und mit demselben ein unbeschreibliches Behagen, wobei ich sie ganz ruhevoll ansah und so ihrer stolzen Ruhe das Gleichgewicht hielt. Wäre sie ein Mädchen von meinem Alter gewesen, so hätte ich ohne Zweifel meine Unbefangenheit nicht be¬ wahrt. Doch war dies Alles nur ein Augen¬ blick und als ich mir darauf mit den Blumen zu schaffen machte, zwang sie sogleich einen gro¬ ßen betäubenden Strauß von Rosen, Nelken und starkduftenden Kräutern zusammen und steckte mir
II. 2
wie eine reizende Pomona, daß ein Gewirre von Form, Farbe und Duft ſich auf der blanken Ta¬ fel verbreitete. Dann gruͤßte ſie mich mit ſtaͤdti¬ ſchem Accente, indeſſen ſie aus dem Schatten eines breiten Strohhutes neugierig auf mich her¬ abſah, ſagte, ſie haͤtte Durſt, holte ein Becken mit Milch herbei, fuͤllte eine Schale davon und bot ſie mir an; ich wollte ſie ausſchlagen, da ich ſchon genug genoſſen hatte, allein ſie ſagte la¬ chend: »Trinkt doch!« und machte Anſtalt, mir das Gefaͤß an den Mund zu halten. Daher nahm ich es und ſchluͤrfte nun den marmorwei¬ ßen und kuͤhlen Trank mit Einem Zuge hinunter und mit demſelben ein unbeſchreibliches Behagen, wobei ich ſie ganz ruhevoll anſah und ſo ihrer ſtolzen Ruhe das Gleichgewicht hielt. Waͤre ſie ein Maͤdchen von meinem Alter geweſen, ſo haͤtte ich ohne Zweifel meine Unbefangenheit nicht be¬ wahrt. Doch war dies Alles nur ein Augen¬ blick und als ich mir darauf mit den Blumen zu ſchaffen machte, zwang ſie ſogleich einen gro¬ ßen betaͤubenden Strauß von Roſen, Nelken und ſtarkduftenden Kraͤutern zuſammen und ſteckte mir
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wie eine reizende Pomona, daß ein Gewirre von
Form, Farbe und Duft ſich auf der blanken Ta¬
fel verbreitete. Dann gruͤßte ſie mich mit ſtaͤdti¬
ſchem Accente, indeſſen ſie aus dem Schatten
eines breiten Strohhutes neugierig auf mich her¬
abſah, ſagte, ſie haͤtte Durſt, holte ein Becken
mit Milch herbei, fuͤllte eine Schale davon und
bot ſie mir an; ich wollte ſie ausſchlagen, da ich
ſchon genug genoſſen hatte, allein ſie ſagte la¬
chend: »Trinkt doch!« und machte Anſtalt, mir
das Gefaͤß an den Mund zu halten. Daher
nahm ich es und ſchluͤrfte nun den marmorwei¬
ßen und kuͤhlen Trank mit Einem Zuge hinunter
und mit demſelben ein unbeſchreibliches Behagen,
wobei ich ſie ganz ruhevoll anſah und ſo ihrer
ſtolzen Ruhe das Gleichgewicht hielt. Waͤre ſie
ein Maͤdchen von meinem Alter geweſen, ſo haͤtte
ich ohne Zweifel meine Unbefangenheit nicht be¬
wahrt. Doch war dies Alles nur ein Augen¬
blick und als ich mir darauf mit den Blumen
zu ſchaffen machte, zwang ſie ſogleich einen gro¬
ßen betaͤubenden Strauß von Roſen, Nelken und
ſtarkduftenden Kraͤutern zuſammen und ſteckte mir
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 17. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/27>, abgerufen am 21.11.2024.
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