es die Form eines Herzens hat und ein hüb¬ scher Spruch darauf steht. Eine andere Dilikatesse, die er aus der Stadt mitbringt, ist einfaches Weißbrot; hier holt er sich nur wieder zurück, was er selbst hervorgebracht hat, und deswegen zeichnet er aus. Diese Ueberzeugung, daß er das Beste und Gesundeste biete, welche in unverdor¬ benen und noch nicht servilen Gegenden nicht ohne Ostentation hervortritt, geht auf den Gast über, welcher sich alsbald einer kräftigen Eßlust hingiebt, ohne sie zu bereuen. Darum saß ich schmächtiges "Vetterlein" wieder tapfer schmau¬ send hinter dem Tische, obgleich ich heute schon ein Erkleckliches gethan hatte. Mit Wohlwollen überhäuften mich die Verwandten und betrachte¬ ten mich, wie jeden Städter, der nicht ein Zins¬ herr ist, als einen Hungerschlucker. Sie führten ein lebhaftes Gespräch über unser Schicksal und befragten mich des Genauesten nach allen unseren Umständen. Die Frau erkundigte sich, ob ihre jährlichen Geschenke an Feldfrüchten immer rich¬ tig ankämen und versprach, gewiß selbst ein Mal nach der Stadt zu kommen; der Mann erzählte
es die Form eines Herzens hat und ein huͤb¬ ſcher Spruch darauf ſteht. Eine andere Dilikateſſe, die er aus der Stadt mitbringt, iſt einfaches Weißbrot; hier holt er ſich nur wieder zuruͤck, was er ſelbſt hervorgebracht hat, und deswegen zeichnet er aus. Dieſe Ueberzeugung, daß er das Beſte und Geſundeſte biete, welche in unverdor¬ benen und noch nicht ſervilen Gegenden nicht ohne Oſtentation hervortritt, geht auf den Gaſt uͤber, welcher ſich alsbald einer kraͤftigen Eßluſt hingiebt, ohne ſie zu bereuen. Darum ſaß ich ſchmaͤchtiges »Vetterlein« wieder tapfer ſchmau¬ ſend hinter dem Tiſche, obgleich ich heute ſchon ein Erkleckliches gethan hatte. Mit Wohlwollen uͤberhaͤuften mich die Verwandten und betrachte¬ ten mich, wie jeden Staͤdter, der nicht ein Zins¬ herr iſt, als einen Hungerſchlucker. Sie fuͤhrten ein lebhaftes Geſpraͤch uͤber unſer Schickſal und befragten mich des Genaueſten nach allen unſeren Umſtaͤnden. Die Frau erkundigte ſich, ob ihre jaͤhrlichen Geſchenke an Feldfruͤchten immer rich¬ tig ankaͤmen und verſprach, gewiß ſelbſt ein Mal nach der Stadt zu kommen; der Mann erzaͤhlte
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es die Form eines Herzens hat und ein huͤb¬
ſcher Spruch darauf ſteht. Eine andere Dilikateſſe,
die er aus der Stadt mitbringt, iſt einfaches
Weißbrot; hier holt er ſich nur wieder zuruͤck,
was er ſelbſt hervorgebracht hat, und deswegen
zeichnet er aus. Dieſe Ueberzeugung, daß er das
Beſte und Geſundeſte biete, welche in unverdor¬
benen und noch nicht ſervilen Gegenden nicht
ohne Oſtentation hervortritt, geht auf den Gaſt
uͤber, welcher ſich alsbald einer kraͤftigen Eßluſt
hingiebt, ohne ſie zu bereuen. Darum ſaß ich
ſchmaͤchtiges »Vetterlein« wieder tapfer ſchmau¬
ſend hinter dem Tiſche, obgleich ich heute ſchon
ein Erkleckliches gethan hatte. Mit Wohlwollen
uͤberhaͤuften mich die Verwandten und betrachte¬
ten mich, wie jeden Staͤdter, der nicht ein Zins¬
herr iſt, als einen Hungerſchlucker. Sie fuͤhrten
ein lebhaftes Geſpraͤch uͤber unſer Schickſal und
befragten mich des Genaueſten nach allen unſeren
Umſtaͤnden. Die Frau erkundigte ſich, ob ihre
jaͤhrlichen Geſchenke an Feldfruͤchten immer rich¬
tig ankaͤmen und verſprach, gewiß ſelbſt ein Mal
nach der Stadt zu kommen; der Mann erzaͤhlte
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 13. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/23>, abgerufen am 03.12.2024.
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