Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

bildung, erst jetzt recht fühlend, was ich ver¬
loren. Doch lernte ich durch meine Freunde
manches Buch und manchen Anknüpfungspunkt
kennen, von wo aus ich weiter tappte am dürf¬
tigen Faden und, das Gefundene verschmelzend
mit dem phantastischen Wesen meiner Abgeschie¬
denheit, gefiel ich mir in einer komischen, höchst
unschuldigen Gelehrsamkeit, welche meine Be¬
schäftigungen seltsam bereicherte und vermehrte.
Ich schrieb an frühen stillen Morgen oder in
später Nacht hochtrabende Aufsätze, begeisterte
Schilderungen und Ausrufungen und war be¬
sonders eitel auf tiefsinnige Aphorismen, die ich,
mit Skizzen und Schnörkeleien vermischt, in
Tagebüchern anbrachte. So glich meine Zelle,
in welcher sich gesuchte Gegenstände und Zier¬
rathen immer mehr anhäuften, dem kochenden
Herde eines Hexenmeisters oder Alchymisten, auf
welchem ein ringendes Leben gebraut wurde. Das
Anmuthige und Gesunde und das Verzerrte und
Sonderbare, Maß und Willkür brodelten durch
einander und mischten sich oder schieden sich in
Lichtblicken aus.

bildung, erſt jetzt recht fuͤhlend, was ich ver¬
loren. Doch lernte ich durch meine Freunde
manches Buch und manchen Anknuͤpfungspunkt
kennen, von wo aus ich weiter tappte am duͤrf¬
tigen Faden und, das Gefundene verſchmelzend
mit dem phantaſtiſchen Weſen meiner Abgeſchie¬
denheit, gefiel ich mir in einer komiſchen, hoͤchſt
unſchuldigen Gelehrſamkeit, welche meine Be¬
ſchaͤftigungen ſeltſam bereicherte und vermehrte.
Ich ſchrieb an fruͤhen ſtillen Morgen oder in
ſpaͤter Nacht hochtrabende Aufſaͤtze, begeiſterte
Schilderungen und Ausrufungen und war be¬
ſonders eitel auf tiefſinnige Aphorismen, die ich,
mit Skizzen und Schnoͤrkeleien vermiſcht, in
Tagebuͤchern anbrachte. So glich meine Zelle,
in welcher ſich geſuchte Gegenſtaͤnde und Zier¬
rathen immer mehr anhaͤuften, dem kochenden
Herde eines Hexenmeiſters oder Alchymiſten, auf
welchem ein ringendes Leben gebraut wurde. Das
Anmuthige und Geſunde und das Verzerrte und
Sonderbare, Maß und Willkuͤr brodelten durch
einander und miſchten ſich oder ſchieden ſich in
Lichtblicken aus.

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0214" n="204"/>
bildung, er&#x017F;t jetzt recht fu&#x0364;hlend, was ich ver¬<lb/>
loren. Doch lernte ich durch meine Freunde<lb/>
manches Buch und manchen Anknu&#x0364;pfungspunkt<lb/>
kennen, von wo aus ich weiter tappte am du&#x0364;rf¬<lb/>
tigen Faden und, das Gefundene ver&#x017F;chmelzend<lb/>
mit dem phanta&#x017F;ti&#x017F;chen We&#x017F;en meiner Abge&#x017F;chie¬<lb/>
denheit, gefiel ich mir in einer komi&#x017F;chen, ho&#x0364;ch&#x017F;t<lb/>
un&#x017F;chuldigen Gelehr&#x017F;amkeit, welche meine Be¬<lb/>
&#x017F;cha&#x0364;ftigungen &#x017F;elt&#x017F;am bereicherte und vermehrte.<lb/>
Ich &#x017F;chrieb an fru&#x0364;hen &#x017F;tillen Morgen oder in<lb/>
&#x017F;pa&#x0364;ter Nacht hochtrabende Auf&#x017F;a&#x0364;tze, begei&#x017F;terte<lb/>
Schilderungen und Ausrufungen und war be¬<lb/>
&#x017F;onders eitel auf tief&#x017F;innige Aphorismen, die ich,<lb/>
mit Skizzen und Schno&#x0364;rkeleien vermi&#x017F;cht, in<lb/>
Tagebu&#x0364;chern anbrachte. So glich meine Zelle,<lb/>
in welcher &#x017F;ich ge&#x017F;uchte Gegen&#x017F;ta&#x0364;nde und Zier¬<lb/>
rathen immer mehr anha&#x0364;uften, dem kochenden<lb/>
Herde eines Hexenmei&#x017F;ters oder Alchymi&#x017F;ten, auf<lb/>
welchem ein ringendes Leben gebraut wurde. Das<lb/>
Anmuthige und Ge&#x017F;unde und das Verzerrte und<lb/>
Sonderbare, Maß und Willku&#x0364;r brodelten durch<lb/>
einander und mi&#x017F;chten &#x017F;ich oder &#x017F;chieden &#x017F;ich in<lb/>
Lichtblicken aus.</p><lb/>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[204/0214] bildung, erſt jetzt recht fuͤhlend, was ich ver¬ loren. Doch lernte ich durch meine Freunde manches Buch und manchen Anknuͤpfungspunkt kennen, von wo aus ich weiter tappte am duͤrf¬ tigen Faden und, das Gefundene verſchmelzend mit dem phantaſtiſchen Weſen meiner Abgeſchie¬ denheit, gefiel ich mir in einer komiſchen, hoͤchſt unſchuldigen Gelehrſamkeit, welche meine Be¬ ſchaͤftigungen ſeltſam bereicherte und vermehrte. Ich ſchrieb an fruͤhen ſtillen Morgen oder in ſpaͤter Nacht hochtrabende Aufſaͤtze, begeiſterte Schilderungen und Ausrufungen und war be¬ ſonders eitel auf tiefſinnige Aphorismen, die ich, mit Skizzen und Schnoͤrkeleien vermiſcht, in Tagebuͤchern anbrachte. So glich meine Zelle, in welcher ſich geſuchte Gegenſtaͤnde und Zier¬ rathen immer mehr anhaͤuften, dem kochenden Herde eines Hexenmeiſters oder Alchymiſten, auf welchem ein ringendes Leben gebraut wurde. Das Anmuthige und Geſunde und das Verzerrte und Sonderbare, Maß und Willkuͤr brodelten durch einander und miſchten ſich oder ſchieden ſich in Lichtblicken aus.

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/214
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 204. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/214>, abgerufen am 02.05.2024.