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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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Täuschung erweckte mir eine üble Lust, derglei¬
chen fortzusetzen und es förmlich darauf anzu¬
legen, den guten Mann zu hintergehen. Ich er¬
fand, irgendwo im Dunkel des Waldes sitzend,
immer tollere und muthwilligere Fratzen von
Felsen und Bäumen, und freute mich im Vor¬
aus, daß sie mein Lehrer für wahr und in näch¬
ster Umgegend vorhanden erachten würde. Doch
mag es mir zu einiger Entschuldigung gereichen,
daß ich in alten Kupferblättern, z. B. von Swane¬
feldt, die abenteuerlichsten Formationen als löb¬
liche Meisterwerke vorgebildet sah und selbst der
guten Meinung lebte, dieses sei das Wahre und
immerhin eine gute Uebung. Denn schon waren
die edlen und gesunden Formen Claude Lorrain's
im flüchtigen Jugendgemüthe wieder unter die
Oberfläche getreten. Während der Winterabende
war im Refektorium etwas Figurenzeichnen ge¬
trieben worden, und ich hatte mir, indem ich
eine Menge radirter, bekleideter Staffagefiguren
kopirte, einige grobe Uebung und Kenntniß im
Entwerfen solcher erworben. So erfand ich nun
zu meinen wunderlichen Landschaftsstudien noch

Taͤuſchung erweckte mir eine uͤble Luſt, derglei¬
chen fortzuſetzen und es foͤrmlich darauf anzu¬
legen, den guten Mann zu hintergehen. Ich er¬
fand, irgendwo im Dunkel des Waldes ſitzend,
immer tollere und muthwilligere Fratzen von
Felſen und Baͤumen, und freute mich im Vor¬
aus, daß ſie mein Lehrer fuͤr wahr und in naͤch¬
ſter Umgegend vorhanden erachten wuͤrde. Doch
mag es mir zu einiger Entſchuldigung gereichen,
daß ich in alten Kupferblaͤttern, z. B. von Swane¬
feldt, die abenteuerlichſten Formationen als loͤb¬
liche Meiſterwerke vorgebildet ſah und ſelbſt der
guten Meinung lebte, dieſes ſei das Wahre und
immerhin eine gute Uebung. Denn ſchon waren
die edlen und geſunden Formen Claude Lorrain's
im fluͤchtigen Jugendgemuͤthe wieder unter die
Oberflaͤche getreten. Waͤhrend der Winterabende
war im Refektorium etwas Figurenzeichnen ge¬
trieben worden, und ich hatte mir, indem ich
eine Menge radirter, bekleideter Staffagefiguren
kopirte, einige grobe Uebung und Kenntniß im
Entwerfen ſolcher erworben. So erfand ich nun
zu meinen wunderlichen Landſchaftsſtudien noch

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[184/0194] Taͤuſchung erweckte mir eine uͤble Luſt, derglei¬ chen fortzuſetzen und es foͤrmlich darauf anzu¬ legen, den guten Mann zu hintergehen. Ich er¬ fand, irgendwo im Dunkel des Waldes ſitzend, immer tollere und muthwilligere Fratzen von Felſen und Baͤumen, und freute mich im Vor¬ aus, daß ſie mein Lehrer fuͤr wahr und in naͤch¬ ſter Umgegend vorhanden erachten wuͤrde. Doch mag es mir zu einiger Entſchuldigung gereichen, daß ich in alten Kupferblaͤttern, z. B. von Swane¬ feldt, die abenteuerlichſten Formationen als loͤb¬ liche Meiſterwerke vorgebildet ſah und ſelbſt der guten Meinung lebte, dieſes ſei das Wahre und immerhin eine gute Uebung. Denn ſchon waren die edlen und geſunden Formen Claude Lorrain's im fluͤchtigen Jugendgemuͤthe wieder unter die Oberflaͤche getreten. Waͤhrend der Winterabende war im Refektorium etwas Figurenzeichnen ge¬ trieben worden, und ich hatte mir, indem ich eine Menge radirter, bekleideter Staffagefiguren kopirte, einige grobe Uebung und Kenntniß im Entwerfen ſolcher erworben. So erfand ich nun zu meinen wunderlichen Landſchaftsſtudien noch

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 184. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/194>, abgerufen am 24.11.2024.