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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

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beobachtete genau, wie ein und derselbe Baum
nach und nach voll und rund wurde und die
hervorkeimenden Pflanzen am Boden mit Blu¬
men endigten, deren Art ich neugierig erwartet
hatte. Ich drang immer tiefer in bisher nicht
gesehene Winkel und Gründe; fand ich eine recht
abgelegene und geheimnißvolle Stelle, so ließ ich
mich dort nieder und fertigte rasch eine Zeichnung
eigener Erfindung an, um ein Produkt nach
Hause zu bringen. In derselben häufte ich die
seltsamsten Gebilde zusammen, die meine Phan¬
tasie hervorzutreiben vermochte, indem ich die
bisher wahrgenommenen Eigenthümlichkeiten der
Natur mit meiner erlangten Fertigkeit verschmolz
und so Dinge hervorbrachte, die ich Herrn Haber¬
saat als in der Natur bestehend vorlegte und aus
denen er nicht klug werden konnte. Er gratulirte
mir zu meinen Entdeckungen und fand seine Aus¬
sprüche über meinen Eifer und mein Talent be¬
stätigt, da ich hiermit beweise, daß ich unver¬
kennbar ein scharfes und glückliches Auge für das
Malerische hätte und Dinge auffände, an welchen
tausend Andere vorübergingen. Diese gutmüthige

beobachtete genau, wie ein und derſelbe Baum
nach und nach voll und rund wurde und die
hervorkeimenden Pflanzen am Boden mit Blu¬
men endigten, deren Art ich neugierig erwartet
hatte. Ich drang immer tiefer in bisher nicht
geſehene Winkel und Gruͤnde; fand ich eine recht
abgelegene und geheimnißvolle Stelle, ſo ließ ich
mich dort nieder und fertigte raſch eine Zeichnung
eigener Erfindung an, um ein Produkt nach
Hauſe zu bringen. In derſelben haͤufte ich die
ſeltſamſten Gebilde zuſammen, die meine Phan¬
taſie hervorzutreiben vermochte, indem ich die
bisher wahrgenommenen Eigenthuͤmlichkeiten der
Natur mit meiner erlangten Fertigkeit verſchmolz
und ſo Dinge hervorbrachte, die ich Herrn Haber¬
ſaat als in der Natur beſtehend vorlegte und aus
denen er nicht klug werden konnte. Er gratulirte
mir zu meinen Entdeckungen und fand ſeine Aus¬
ſpruͤche uͤber meinen Eifer und mein Talent be¬
ſtaͤtigt, da ich hiermit beweiſe, daß ich unver¬
kennbar ein ſcharfes und gluͤckliches Auge fuͤr das
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[183/0193] beobachtete genau, wie ein und derſelbe Baum nach und nach voll und rund wurde und die hervorkeimenden Pflanzen am Boden mit Blu¬ men endigten, deren Art ich neugierig erwartet hatte. Ich drang immer tiefer in bisher nicht geſehene Winkel und Gruͤnde; fand ich eine recht abgelegene und geheimnißvolle Stelle, ſo ließ ich mich dort nieder und fertigte raſch eine Zeichnung eigener Erfindung an, um ein Produkt nach Hauſe zu bringen. In derſelben haͤufte ich die ſeltſamſten Gebilde zuſammen, die meine Phan¬ taſie hervorzutreiben vermochte, indem ich die bisher wahrgenommenen Eigenthuͤmlichkeiten der Natur mit meiner erlangten Fertigkeit verſchmolz und ſo Dinge hervorbrachte, die ich Herrn Haber¬ ſaat als in der Natur beſtehend vorlegte und aus denen er nicht klug werden konnte. Er gratulirte mir zu meinen Entdeckungen und fand ſeine Aus¬ ſpruͤche uͤber meinen Eifer und mein Talent be¬ ſtaͤtigt, da ich hiermit beweiſe, daß ich unver¬ kennbar ein ſcharfes und gluͤckliches Auge fuͤr das Maleriſche haͤtte und Dinge auffaͤnde, an welchen tauſend Andere voruͤbergingen. Dieſe gutmuͤthige

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 183. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/193>, abgerufen am 02.05.2024.