Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

und blaue Steine rieselten. Ihre Goldzöpfe hin¬
gen tief über den Nacken hinab, ihr Gesicht war
von einer allerliebsten weißen Krause von eigener
Erfindung eingefaßt und dieselbe bedeckte noch
die jungen schmalen Schultern. Sie sagte nicht
viel und schien sich ein wenig der vergangenen
Nacht zu schämen; überall, wo ich Nichts ge¬
wahrte, sah sie verborgene Blüthen und brach
dieselben, daß sie bald alle Hände voll zu tragen
hatte. An einer Stelle, wo das Wasser sich in
einer Erweiterung des Bettes sammelte und stille
stand, warf sie ihre sämmtliche Last zu Boden
und sagte: "Hier ruht man aus!" Wir setzten
uns an den Rand des Teiches; Anna flocht einen
feinen Kranz aus den kleinen vornehmen Wald¬
blumen und setzte ihn auf. Nun sah sie ganz
aus wie ein holdseliges Mährchen, aus der tiefen,
dunkelgrünen Fluth schaute ihr Bild lächelnd
herauf, das weiß und rothe Gesicht wie durch
ein dunkles Glas fabelhaft überschattet. Aus der
gegenüberliegenden Seite des Wassers, nur zwan¬
zig Schritte von uns, stieg eine Felswand empor,
beinahe senkrecht und nur mit wenigem Gesträuche

und blaue Steine rieſelten. Ihre Goldzoͤpfe hin¬
gen tief uͤber den Nacken hinab, ihr Geſicht war
von einer allerliebſten weißen Krauſe von eigener
Erfindung eingefaßt und dieſelbe bedeckte noch
die jungen ſchmalen Schultern. Sie ſagte nicht
viel und ſchien ſich ein wenig der vergangenen
Nacht zu ſchaͤmen; uͤberall, wo ich Nichts ge¬
wahrte, ſah ſie verborgene Bluͤthen und brach
dieſelben, daß ſie bald alle Haͤnde voll zu tragen
hatte. An einer Stelle, wo das Waſſer ſich in
einer Erweiterung des Bettes ſammelte und ſtille
ſtand, warf ſie ihre ſaͤmmtliche Laſt zu Boden
und ſagte: »Hier ruht man aus!« Wir ſetzten
uns an den Rand des Teiches; Anna flocht einen
feinen Kranz aus den kleinen vornehmen Wald¬
blumen und ſetzte ihn auf. Nun ſah ſie ganz
aus wie ein holdſeliges Maͤhrchen, aus der tiefen,
dunkelgruͤnen Fluth ſchaute ihr Bild laͤchelnd
herauf, das weiß und rothe Geſicht wie durch
ein dunkles Glas fabelhaft uͤberſchattet. Aus der
gegenuͤberliegenden Seite des Waſſers, nur zwan¬
zig Schritte von uns, ſtieg eine Felswand empor,
beinahe ſenkrecht und nur mit wenigem Geſtraͤuche

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0132" n="122"/>
und blaue Steine rie&#x017F;elten. Ihre Goldzo&#x0364;pfe hin¬<lb/>
gen tief u&#x0364;ber den Nacken hinab, ihr Ge&#x017F;icht war<lb/>
von einer allerlieb&#x017F;ten weißen Krau&#x017F;e von eigener<lb/>
Erfindung eingefaßt und die&#x017F;elbe bedeckte noch<lb/>
die jungen &#x017F;chmalen Schultern. Sie &#x017F;agte nicht<lb/>
viel und &#x017F;chien &#x017F;ich ein wenig der vergangenen<lb/>
Nacht zu &#x017F;cha&#x0364;men; u&#x0364;berall, wo ich Nichts ge¬<lb/>
wahrte, &#x017F;ah &#x017F;ie verborgene Blu&#x0364;then und brach<lb/>
die&#x017F;elben, daß &#x017F;ie bald alle Ha&#x0364;nde voll zu tragen<lb/>
hatte. An einer Stelle, wo das Wa&#x017F;&#x017F;er &#x017F;ich in<lb/>
einer Erweiterung des Bettes &#x017F;ammelte und &#x017F;tille<lb/>
&#x017F;tand, warf &#x017F;ie ihre &#x017F;a&#x0364;mmtliche La&#x017F;t zu Boden<lb/>
und &#x017F;agte: »Hier ruht man aus!« Wir &#x017F;etzten<lb/>
uns an den Rand des Teiches; Anna flocht einen<lb/>
feinen Kranz aus den kleinen vornehmen Wald¬<lb/>
blumen und &#x017F;etzte ihn auf. Nun &#x017F;ah &#x017F;ie ganz<lb/>
aus wie ein hold&#x017F;eliges Ma&#x0364;hrchen, aus der tiefen,<lb/>
dunkelgru&#x0364;nen Fluth &#x017F;chaute ihr Bild la&#x0364;chelnd<lb/>
herauf, das weiß und rothe Ge&#x017F;icht wie durch<lb/>
ein dunkles Glas fabelhaft u&#x0364;ber&#x017F;chattet. Aus der<lb/>
gegenu&#x0364;berliegenden Seite des Wa&#x017F;&#x017F;ers, nur zwan¬<lb/>
zig Schritte von uns, &#x017F;tieg eine Felswand empor,<lb/>
beinahe &#x017F;enkrecht und nur mit wenigem Ge&#x017F;tra&#x0364;uche<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[122/0132] und blaue Steine rieſelten. Ihre Goldzoͤpfe hin¬ gen tief uͤber den Nacken hinab, ihr Geſicht war von einer allerliebſten weißen Krauſe von eigener Erfindung eingefaßt und dieſelbe bedeckte noch die jungen ſchmalen Schultern. Sie ſagte nicht viel und ſchien ſich ein wenig der vergangenen Nacht zu ſchaͤmen; uͤberall, wo ich Nichts ge¬ wahrte, ſah ſie verborgene Bluͤthen und brach dieſelben, daß ſie bald alle Haͤnde voll zu tragen hatte. An einer Stelle, wo das Waſſer ſich in einer Erweiterung des Bettes ſammelte und ſtille ſtand, warf ſie ihre ſaͤmmtliche Laſt zu Boden und ſagte: »Hier ruht man aus!« Wir ſetzten uns an den Rand des Teiches; Anna flocht einen feinen Kranz aus den kleinen vornehmen Wald¬ blumen und ſetzte ihn auf. Nun ſah ſie ganz aus wie ein holdſeliges Maͤhrchen, aus der tiefen, dunkelgruͤnen Fluth ſchaute ihr Bild laͤchelnd herauf, das weiß und rothe Geſicht wie durch ein dunkles Glas fabelhaft uͤberſchattet. Aus der gegenuͤberliegenden Seite des Waſſers, nur zwan¬ zig Schritte von uns, ſtieg eine Felswand empor, beinahe ſenkrecht und nur mit wenigem Geſtraͤuche

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/132
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 2. Braunschweig, 1854, S. 122. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich02_1854/132>, abgerufen am 05.05.2024.