Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

ein mächtiges Zauberwort in Fluß gerathen, nach
einer neuen Form gerungen hätte und über dem
Ringen in einer seltsamen Mischung wieder erstarrt
wäre. Wie zum Spotte ragte tief im Hinter¬
grunde eine colossale alte Kirche im Jesuitenstyle
über alle diese Schöpfungen empor und die tollen
Schnörkel und Schlangenlinien derselben schienen
in dem schwachen Mondlichte auf und nieder zu
tanzen. Das Getöse der inneren Stadt summte
nur von ferne in die einsame, stille Straße her¬
ein, man hörte fast keines Menschen Tritt gehen,
nur ein hoher, magerer Mann kam mit langen
Schritten und wunderlichen Bewegungen durch
das ersterbende Zwielicht daher und trat, als
Heinrich ihn zerstreut ansah, plötzlich auf densel¬
ben zu und schlug ihm die Mütze vom Kopfe,
daß sie auf den Boden fiel. Es lag aber etwas
Schwärmerisches und gutmüthig Edles in den
Augen dieses Mannes, so daß Heinrich verlegen
dastand, sich hinter den Ohren kratzte und nicht
wußte, was nun wieder zu thun sei. Der Fremde
rief ihm aber mit lauter Stimme zu: "Warum
gaffen Sie mich an und grüßen nicht? Was ist

ein maͤchtiges Zauberwort in Fluß gerathen, nach
einer neuen Form gerungen haͤtte und uͤber dem
Ringen in einer ſeltſamen Miſchung wieder erſtarrt
waͤre. Wie zum Spotte ragte tief im Hinter¬
grunde eine coloſſale alte Kirche im Jeſuitenſtyle
uͤber alle dieſe Schoͤpfungen empor und die tollen
Schnoͤrkel und Schlangenlinien derſelben ſchienen
in dem ſchwachen Mondlichte auf und nieder zu
tanzen. Das Getoͤſe der inneren Stadt ſummte
nur von ferne in die einſame, ſtille Straße her¬
ein, man hoͤrte faſt keines Menſchen Tritt gehen,
nur ein hoher, magerer Mann kam mit langen
Schritten und wunderlichen Bewegungen durch
das erſterbende Zwielicht daher und trat, als
Heinrich ihn zerſtreut anſah, ploͤtzlich auf denſel¬
ben zu und ſchlug ihm die Muͤtze vom Kopfe,
daß ſie auf den Boden fiel. Es lag aber etwas
Schwaͤrmeriſches und gutmuͤthig Edles in den
Augen dieſes Mannes, ſo daß Heinrich verlegen
daſtand, ſich hinter den Ohren kratzte und nicht
wußte, was nun wieder zu thun ſei. Der Fremde
rief ihm aber mit lauter Stimme zu: »Warum
gaffen Sie mich an und gruͤßen nicht? Was iſt

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0099" n="85"/>
ein ma&#x0364;chtiges Zauberwort in Fluß gerathen, nach<lb/>
einer neuen Form gerungen ha&#x0364;tte und u&#x0364;ber dem<lb/>
Ringen in einer &#x017F;elt&#x017F;amen Mi&#x017F;chung wieder er&#x017F;tarrt<lb/>
wa&#x0364;re. Wie zum Spotte ragte tief im Hinter¬<lb/>
grunde eine colo&#x017F;&#x017F;ale alte Kirche im Je&#x017F;uiten&#x017F;tyle<lb/>
u&#x0364;ber alle die&#x017F;e Scho&#x0364;pfungen empor und die tollen<lb/>
Schno&#x0364;rkel und Schlangenlinien der&#x017F;elben &#x017F;chienen<lb/>
in dem &#x017F;chwachen Mondlichte auf und nieder zu<lb/>
tanzen. Das Geto&#x0364;&#x017F;e der inneren Stadt &#x017F;ummte<lb/>
nur von ferne in die ein&#x017F;ame, &#x017F;tille Straße her¬<lb/>
ein, man ho&#x0364;rte fa&#x017F;t keines Men&#x017F;chen Tritt gehen,<lb/>
nur ein hoher, magerer Mann kam mit langen<lb/>
Schritten und wunderlichen Bewegungen durch<lb/>
das er&#x017F;terbende Zwielicht daher und trat, als<lb/>
Heinrich ihn zer&#x017F;treut an&#x017F;ah, plo&#x0364;tzlich auf den&#x017F;el¬<lb/>
ben zu und &#x017F;chlug ihm die Mu&#x0364;tze vom Kopfe,<lb/>
daß &#x017F;ie auf den Boden fiel. Es lag aber etwas<lb/>
Schwa&#x0364;rmeri&#x017F;ches und gutmu&#x0364;thig Edles in den<lb/>
Augen die&#x017F;es Mannes, &#x017F;o daß Heinrich verlegen<lb/>
da&#x017F;tand, &#x017F;ich hinter den Ohren kratzte und nicht<lb/>
wußte, was nun wieder zu thun &#x017F;ei. Der Fremde<lb/>
rief ihm aber mit lauter Stimme zu: »Warum<lb/>
gaffen Sie mich an und gru&#x0364;ßen nicht? Was i&#x017F;t<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[85/0099] ein maͤchtiges Zauberwort in Fluß gerathen, nach einer neuen Form gerungen haͤtte und uͤber dem Ringen in einer ſeltſamen Miſchung wieder erſtarrt waͤre. Wie zum Spotte ragte tief im Hinter¬ grunde eine coloſſale alte Kirche im Jeſuitenſtyle uͤber alle dieſe Schoͤpfungen empor und die tollen Schnoͤrkel und Schlangenlinien derſelben ſchienen in dem ſchwachen Mondlichte auf und nieder zu tanzen. Das Getoͤſe der inneren Stadt ſummte nur von ferne in die einſame, ſtille Straße her¬ ein, man hoͤrte faſt keines Menſchen Tritt gehen, nur ein hoher, magerer Mann kam mit langen Schritten und wunderlichen Bewegungen durch das erſterbende Zwielicht daher und trat, als Heinrich ihn zerſtreut anſah, ploͤtzlich auf denſel¬ ben zu und ſchlug ihm die Muͤtze vom Kopfe, daß ſie auf den Boden fiel. Es lag aber etwas Schwaͤrmeriſches und gutmuͤthig Edles in den Augen dieſes Mannes, ſo daß Heinrich verlegen daſtand, ſich hinter den Ohren kratzte und nicht wußte, was nun wieder zu thun ſei. Der Fremde rief ihm aber mit lauter Stimme zu: »Warum gaffen Sie mich an und gruͤßen nicht? Was iſt

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/99
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 85. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/99>, abgerufen am 25.11.2024.