aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbe¬ fangenheit: "Ach Gott, das arme Thierchen wird doch Niemanden geniren?" Jetzt erst merkte Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte diese übermüthige Person heimlich mit irgend einem Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Hünd¬ chen auf den Schooß nahm und mit ihren feinen Händchen in festen Banden hielt. Zugleich trat der Herr zu ihm und redete ihn an:
"Mein Herr, ich habe so eben von Ihrem Kutscher vernommen, daß wir den gleichen Weg reisen. Auch ich bin hierher gekommen, um mit¬ telst der Post bis zur nächsten Eisenbahnstation zu gelangen. Da Sie aber ganz allein sind, so haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen geselle? denn ich ziehe die gemüth¬ liche Kutsche bei diesem Wetter dem dumpfen Postwagen vor: auch mein Gepäck, welches nicht beträchtlich ist, dürfte noch neben dem Ihrigen Platz finden."
Heinrich erwiederte etwas unbeholfen, daß er gar nichts zu verfügen hätte, indem es dem Kutscher frei stände, so viel Passagiere aufzuneh¬
aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbe¬ fangenheit: »Ach Gott, das arme Thierchen wird doch Niemanden geniren?« Jetzt erſt merkte Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte dieſe uͤbermuͤthige Perſon heimlich mit irgend einem Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Huͤnd¬ chen auf den Schooß nahm und mit ihren feinen Haͤndchen in feſten Banden hielt. Zugleich trat der Herr zu ihm und redete ihn an:
»Mein Herr, ich habe ſo eben von Ihrem Kutſcher vernommen, daß wir den gleichen Weg reiſen. Auch ich bin hierher gekommen, um mit¬ telſt der Poſt bis zur naͤchſten Eiſenbahnſtation zu gelangen. Da Sie aber ganz allein ſind, ſo haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich mich zu Ihnen geſelle? denn ich ziehe die gemuͤth¬ liche Kutſche bei dieſem Wetter dem dumpfen Poſtwagen vor: auch mein Gepaͤck, welches nicht betraͤchtlich iſt, duͤrfte noch neben dem Ihrigen Platz finden.«
Heinrich erwiederte etwas unbeholfen, daß er gar nichts zu verfuͤgen haͤtte, indem es dem Kutſcher frei ſtaͤnde, ſo viel Paſſagiere aufzuneh¬
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0076"n="62"/>
aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbe¬<lb/>
fangenheit: »Ach Gott, das arme Thierchen wird<lb/>
doch Niemanden geniren?« Jetzt erſt merkte<lb/>
Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte dieſe<lb/>
uͤbermuͤthige Perſon heimlich mit irgend einem<lb/>
Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Huͤnd¬<lb/>
chen auf den Schooß nahm und mit ihren feinen<lb/>
Haͤndchen in feſten Banden hielt. Zugleich trat<lb/>
der Herr zu ihm und redete ihn an:</p><lb/><p>»Mein Herr, ich habe ſo eben von Ihrem<lb/>
Kutſcher vernommen, daß wir den gleichen Weg<lb/>
reiſen. Auch ich bin hierher gekommen, um mit¬<lb/>
telſt der Poſt bis zur naͤchſten Eiſenbahnſtation<lb/>
zu gelangen. Da Sie aber ganz allein ſind, ſo<lb/>
haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich<lb/>
mich zu Ihnen geſelle? denn ich ziehe die gemuͤth¬<lb/>
liche Kutſche bei dieſem Wetter dem dumpfen<lb/>
Poſtwagen vor: auch mein Gepaͤck, welches nicht<lb/>
betraͤchtlich iſt, duͤrfte noch neben dem Ihrigen<lb/>
Platz finden.«</p><lb/><p>Heinrich erwiederte etwas unbeholfen, daß er<lb/>
gar nichts zu verfuͤgen haͤtte, indem es dem<lb/>
Kutſcher frei ſtaͤnde, ſo viel Paſſagiere aufzuneh¬<lb/></p></div></body></text></TEI>
[62/0076]
aber entgegnete mit einer unnachahmlichen Unbe¬
fangenheit: »Ach Gott, das arme Thierchen wird
doch Niemanden geniren?« Jetzt erſt merkte
Heinrich die neue Ungezogenheit und wollte dieſe
uͤbermuͤthige Perſon heimlich mit irgend einem
Schimpfworte bedienen, als die Kleine das Huͤnd¬
chen auf den Schooß nahm und mit ihren feinen
Haͤndchen in feſten Banden hielt. Zugleich trat
der Herr zu ihm und redete ihn an:
»Mein Herr, ich habe ſo eben von Ihrem
Kutſcher vernommen, daß wir den gleichen Weg
reiſen. Auch ich bin hierher gekommen, um mit¬
telſt der Poſt bis zur naͤchſten Eiſenbahnſtation
zu gelangen. Da Sie aber ganz allein ſind, ſo
haben Sie vielleicht nichts dagegen, wenn ich
mich zu Ihnen geſelle? denn ich ziehe die gemuͤth¬
liche Kutſche bei dieſem Wetter dem dumpfen
Poſtwagen vor: auch mein Gepaͤck, welches nicht
betraͤchtlich iſt, duͤrfte noch neben dem Ihrigen
Platz finden.«
Heinrich erwiederte etwas unbeholfen, daß er
gar nichts zu verfuͤgen haͤtte, indem es dem
Kutſcher frei ſtaͤnde, ſo viel Paſſagiere aufzuneh¬
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 62. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/76>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.