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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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empfänglichem Gemüthe das Bild in sich aufge¬
nommen, welches Deutschland durch seine Schrift¬
steller von sich verfertigen ließ und über die
Gränzen sandte. Das nüchterne praktische Trei¬
ben seiner eigenen Landsleute hielt er für Erkal¬
tung und Ausartung des Stammes und hoffte
jenseits des Rheines die ursprüngliche Gluth und
Tiefe des germanischen Lebens noch zu finden.
Dabei hatte er alle Richtungen und Färbungen
desselben in einander geflochten, ohne Kenntniß
und Beurtheilung ihrer natürlichen Stellung un¬
ter und gegen einander. Dem Rationalismus
hing die romantische Caprice am Arm, das Schil¬
ler'sche Pathos und der brittische Humor, Jean
Paul'sche Religiosität und Heine'sche Eulenspiegelei
schillerten durch einander wie eine Schlangenhaut;
die Beschwörungsformeln aller Richtungen hatte
er im Gedächtniß und sah darum begeistert das
vor ihm liegende Land als einen großen alten
Zaubergarten an, in welchem er als ein willkom¬
mener Wanderer mit jenen Stichworten köstliche
Schätze heben und wieder in seine Berge zurück¬
tragen dürfe.

empfaͤnglichem Gemuͤthe das Bild in ſich aufge¬
nommen, welches Deutſchland durch ſeine Schrift¬
ſteller von ſich verfertigen ließ und uͤber die
Graͤnzen ſandte. Das nuͤchterne praktiſche Trei¬
ben ſeiner eigenen Landsleute hielt er fuͤr Erkal¬
tung und Ausartung des Stammes und hoffte
jenſeits des Rheines die urſpruͤngliche Gluth und
Tiefe des germaniſchen Lebens noch zu finden.
Dabei hatte er alle Richtungen und Faͤrbungen
deſſelben in einander geflochten, ohne Kenntniß
und Beurtheilung ihrer natuͤrlichen Stellung un¬
ter und gegen einander. Dem Rationalismus
hing die romantiſche Caprice am Arm, das Schil¬
ler'ſche Pathos und der brittiſche Humor, Jean
Paul'ſche Religioſitaͤt und Heine'ſche Eulenſpiegelei
ſchillerten durch einander wie eine Schlangenhaut;
die Beſchwoͤrungsformeln aller Richtungen hatte
er im Gedaͤchtniß und ſah darum begeiſtert das
vor ihm liegende Land als einen großen alten
Zaubergarten an, in welchem er als ein willkom¬
mener Wanderer mit jenen Stichworten koͤſtliche
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[55/0069] empfaͤnglichem Gemuͤthe das Bild in ſich aufge¬ nommen, welches Deutſchland durch ſeine Schrift¬ ſteller von ſich verfertigen ließ und uͤber die Graͤnzen ſandte. Das nuͤchterne praktiſche Trei¬ ben ſeiner eigenen Landsleute hielt er fuͤr Erkal¬ tung und Ausartung des Stammes und hoffte jenſeits des Rheines die urſpruͤngliche Gluth und Tiefe des germaniſchen Lebens noch zu finden. Dabei hatte er alle Richtungen und Faͤrbungen deſſelben in einander geflochten, ohne Kenntniß und Beurtheilung ihrer natuͤrlichen Stellung un¬ ter und gegen einander. Dem Rationalismus hing die romantiſche Caprice am Arm, das Schil¬ ler'ſche Pathos und der brittiſche Humor, Jean Paul'ſche Religioſitaͤt und Heine'ſche Eulenſpiegelei ſchillerten durch einander wie eine Schlangenhaut; die Beſchwoͤrungsformeln aller Richtungen hatte er im Gedaͤchtniß und ſah darum begeiſtert das vor ihm liegende Land als einen großen alten Zaubergarten an, in welchem er als ein willkom¬ mener Wanderer mit jenen Stichworten koͤſtliche Schaͤtze heben und wieder in ſeine Berge zuruͤck¬ tragen duͤrfe.

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 55. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/69>, abgerufen am 24.11.2024.