Alle aber waren äußerlich ruhig, ungebeugt und sahen kundig und auch ziemlich proceßerfahren in die Welt.
So übereinstimmend mit seinen rührigen Be¬ wohnern nun das schöne Dorf dastand, um so fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor. Dem Style oder besser Nichtstyle nach stammte sie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales nüchternes Gebäude mit kreisrunden Fenstern, förmlichen Löchern, war nicht alt und nicht neu, weder der verbrauchte Baustoff, noch die magern geschmacklosen Verzierungen so wenig als der gedankenlose Thurm, thaten die mindeste Wir¬ kung; man ahnte schon von außen die langweili¬ gen hölzernen Bankreihen und die kleinliche Gipsbekleidung des Inneren, den unförmlich bau¬ chigen Taufstein, das lächerliche braune Kanzel¬ faß; ohne Begeisterung gebaut und keine erwe¬ ckend, verkündete das Gebäude den untröstlichen Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde. Es sah aus, wie ein unnützes sonderbares Mö¬ bel in einem Hause, welches der Besitzer aber eigensinnig um keinen Preis veräußern will, weil
Alle aber waren aͤußerlich ruhig, ungebeugt und ſahen kundig und auch ziemlich proceßerfahren in die Welt.
So uͤbereinſtimmend mit ſeinen ruͤhrigen Be¬ wohnern nun das ſchoͤne Dorf daſtand, um ſo fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor. Dem Style oder beſſer Nichtſtyle nach ſtammte ſie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales nuͤchternes Gebaͤude mit kreisrunden Fenſtern, foͤrmlichen Loͤchern, war nicht alt und nicht neu, weder der verbrauchte Bauſtoff, noch die magern geſchmackloſen Verzierungen ſo wenig als der gedankenloſe Thurm, thaten die mindeſte Wir¬ kung; man ahnte ſchon von außen die langweili¬ gen hoͤlzernen Bankreihen und die kleinliche Gipsbekleidung des Inneren, den unfoͤrmlich bau¬ chigen Taufſtein, das laͤcherliche braune Kanzel¬ faß; ohne Begeiſterung gebaut und keine erwe¬ ckend, verkuͤndete das Gebaͤude den untroͤſtlichen Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde. Es ſah aus, wie ein unnuͤtzes ſonderbares Moͤ¬ bel in einem Hauſe, welches der Beſitzer aber eigenſinnig um keinen Preis veraͤußern will, weil
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0054"n="40"/>
Alle aber waren aͤußerlich ruhig, ungebeugt und<lb/>ſahen kundig und auch ziemlich proceßerfahren<lb/>
in die Welt.</p><lb/><p>So uͤbereinſtimmend mit ſeinen ruͤhrigen Be¬<lb/>
wohnern nun das ſchoͤne Dorf daſtand, um ſo<lb/>
fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor.<lb/>
Dem Style oder beſſer Nichtſtyle nach ſtammte<lb/>ſie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales<lb/>
nuͤchternes Gebaͤude mit kreisrunden Fenſtern,<lb/>
foͤrmlichen Loͤchern, war nicht alt und nicht neu,<lb/>
weder der verbrauchte Bauſtoff, noch die magern<lb/>
geſchmackloſen Verzierungen ſo wenig als der<lb/>
gedankenloſe Thurm, thaten die mindeſte Wir¬<lb/>
kung; man ahnte ſchon von außen die langweili¬<lb/>
gen hoͤlzernen Bankreihen und die kleinliche<lb/>
Gipsbekleidung des Inneren, den unfoͤrmlich bau¬<lb/>
chigen Taufſtein, das laͤcherliche braune Kanzel¬<lb/>
faß; ohne Begeiſterung gebaut und keine erwe¬<lb/>
ckend, verkuͤndete das Gebaͤude den untroͤſtlichen<lb/>
Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde.<lb/>
Es ſah aus, wie ein unnuͤtzes ſonderbares Moͤ¬<lb/>
bel in einem Hauſe, welches der Beſitzer aber<lb/>
eigenſinnig um keinen Preis veraͤußern will, weil<lb/></p></div></body></text></TEI>
[40/0054]
Alle aber waren aͤußerlich ruhig, ungebeugt und
ſahen kundig und auch ziemlich proceßerfahren
in die Welt.
So uͤbereinſtimmend mit ſeinen ruͤhrigen Be¬
wohnern nun das ſchoͤne Dorf daſtand, um ſo
fremdartiger ragte die Kirche aus ihm hervor.
Dem Style oder beſſer Nichtſtyle nach ſtammte
ſie aus dem achtzehnten Jahrhundert, ein ovales
nuͤchternes Gebaͤude mit kreisrunden Fenſtern,
foͤrmlichen Loͤchern, war nicht alt und nicht neu,
weder der verbrauchte Bauſtoff, noch die magern
geſchmackloſen Verzierungen ſo wenig als der
gedankenloſe Thurm, thaten die mindeſte Wir¬
kung; man ahnte ſchon von außen die langweili¬
gen hoͤlzernen Bankreihen und die kleinliche
Gipsbekleidung des Inneren, den unfoͤrmlich bau¬
chigen Taufſtein, das laͤcherliche braune Kanzel¬
faß; ohne Begeiſterung gebaut und keine erwe¬
ckend, verkuͤndete das Gebaͤude den untroͤſtlichen
Schlendrian, mit welchem es gebraucht wurde.
Es ſah aus, wie ein unnuͤtzes ſonderbares Moͤ¬
bel in einem Hauſe, welches der Beſitzer aber
eigenſinnig um keinen Preis veraͤußern will, weil
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 40. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/54>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.