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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Welt aufgedrängt hatte, wieder überkam, bis ich
gegen alle Gewohnheit bitterlich weinte. Ich
wußte mich vor Betrübniß nicht zu lassen und
saß an einer schattigen Quelle nieder, immer
schluchzend, bis ich mich schämte, mein Gesicht
wusch und über mich selbst lächelnd den Rest des
Weges zurücklegte. Endlich sah ich das Dorf zu
meinen Füßen liegen in einem grünen Wiesen¬
thale, welches von den Krümmungen eines leuch¬
tenden kleinen Flusses durchzogen und von be¬
laubten Bergen umgeben war. Die Abendsonne
lag warm auf dem Thale, die Kamine rauchten
freundlich, einzelne Rufe klangen herüber. Bald
befand ich mich bei den ersten Häusern, ich fragte
nach dem Pfarrhause und die Leute, welche an
meinen Augen und meiner Nase erkannten, daß
ich zu dem Geschlechte der Lee gehöre, fragten
mich, ob ich vielleicht ein Sohn des verstorbenen
Baumeisters sei?

So gelangte ich zu der Wohnung meines
Oheims, welche von dem rauschenden Flüßchen
bespült und mit großen Nußbäumen und einigen
hohen Eschen umgeben war: die Fenster blinkten

Welt aufgedraͤngt hatte, wieder uͤberkam, bis ich
gegen alle Gewohnheit bitterlich weinte. Ich
wußte mich vor Betruͤbniß nicht zu laſſen und
ſaß an einer ſchattigen Quelle nieder, immer
ſchluchzend, bis ich mich ſchaͤmte, mein Geſicht
wuſch und uͤber mich ſelbſt laͤchelnd den Reſt des
Weges zuruͤcklegte. Endlich ſah ich das Dorf zu
meinen Fuͤßen liegen in einem gruͤnen Wieſen¬
thale, welches von den Kruͤmmungen eines leuch¬
tenden kleinen Fluſſes durchzogen und von be¬
laubten Bergen umgeben war. Die Abendſonne
lag warm auf dem Thale, die Kamine rauchten
freundlich, einzelne Rufe klangen heruͤber. Bald
befand ich mich bei den erſten Haͤuſern, ich fragte
nach dem Pfarrhauſe und die Leute, welche an
meinen Augen und meiner Naſe erkannten, daß
ich zu dem Geſchlechte der Lee gehoͤre, fragten
mich, ob ich vielleicht ein Sohn des verſtorbenen
Baumeiſters ſei?

So gelangte ich zu der Wohnung meines
Oheims, welche von dem rauſchenden Fluͤßchen
beſpuͤlt und mit großen Nußbaͤumen und einigen
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[394/0408] Welt aufgedraͤngt hatte, wieder uͤberkam, bis ich gegen alle Gewohnheit bitterlich weinte. Ich wußte mich vor Betruͤbniß nicht zu laſſen und ſaß an einer ſchattigen Quelle nieder, immer ſchluchzend, bis ich mich ſchaͤmte, mein Geſicht wuſch und uͤber mich ſelbſt laͤchelnd den Reſt des Weges zuruͤcklegte. Endlich ſah ich das Dorf zu meinen Fuͤßen liegen in einem gruͤnen Wieſen¬ thale, welches von den Kruͤmmungen eines leuch¬ tenden kleinen Fluſſes durchzogen und von be¬ laubten Bergen umgeben war. Die Abendſonne lag warm auf dem Thale, die Kamine rauchten freundlich, einzelne Rufe klangen heruͤber. Bald befand ich mich bei den erſten Haͤuſern, ich fragte nach dem Pfarrhauſe und die Leute, welche an meinen Augen und meiner Naſe erkannten, daß ich zu dem Geſchlechte der Lee gehoͤre, fragten mich, ob ich vielleicht ein Sohn des verſtorbenen Baumeiſters ſei? So gelangte ich zu der Wohnung meines Oheims, welche von dem rauſchenden Fluͤßchen beſpuͤlt und mit großen Nußbaͤumen und einigen hohen Eſchen umgeben war: die Fenſter blinkten

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 394. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/408>, abgerufen am 24.11.2024.