Liebe bei ihr auszuharren, so lange es ihr gefiele, mich um sich zu haben und von meinem Vater, ihrem Sohne, zu reden.
So machte ich mich eines Morgens vor Son¬ nenaufgang auf die Füße und trat den weitesten Weg an, den ich bis dahin unternommen hatte. Ich genoß zum ersten Male das Morgengrauen im Freien und sah die Sonne über nachtfeuchten Waldkämmen aufgehen. Ich wanderte den ganzen Tag, ohne müde zu werden, kam durch viele Dörfer und war wieder stundenlang allein in ge¬ dehnten Waldungen oder auf freien heißen Höhen, mich oft verirrend, aber die verlorne Zeit nicht bereuend, weil ich fortwährend in meinen Ge¬ danken beschäftigt war und zum ersten Mal, durch mein stilles Wandern bewegt, von der ernsten Betrachtung des Schicksals und der Zukunft er¬ füllt wurde. Kornblumen und rother Mohn und in den Wäldern bunte Pilze begleiteten mich längs der ganzen Straße, wunderschöne Wolken bildeten sich unablässig und zogen am tiefen stillen Himmel dahin, ich ging immer zu, indessen mich das selbst¬ gefällige Mitleid mit mir selbst, welches mir die
Liebe bei ihr auszuharren, ſo lange es ihr gefiele, mich um ſich zu haben und von meinem Vater, ihrem Sohne, zu reden.
So machte ich mich eines Morgens vor Son¬ nenaufgang auf die Fuͤße und trat den weiteſten Weg an, den ich bis dahin unternommen hatte. Ich genoß zum erſten Male das Morgengrauen im Freien und ſah die Sonne uͤber nachtfeuchten Waldkaͤmmen aufgehen. Ich wanderte den ganzen Tag, ohne muͤde zu werden, kam durch viele Doͤrfer und war wieder ſtundenlang allein in ge¬ dehnten Waldungen oder auf freien heißen Hoͤhen, mich oft verirrend, aber die verlorne Zeit nicht bereuend, weil ich fortwaͤhrend in meinen Ge¬ danken beſchaͤftigt war und zum erſten Mal, durch mein ſtilles Wandern bewegt, von der ernſten Betrachtung des Schickſals und der Zukunft er¬ fuͤllt wurde. Kornblumen und rother Mohn und in den Waͤldern bunte Pilze begleiteten mich laͤngs der ganzen Straße, wunderſchoͤne Wolken bildeten ſich unablaͤſſig und zogen am tiefen ſtillen Himmel dahin, ich ging immer zu, indeſſen mich das ſelbſt¬ gefaͤllige Mitleid mit mir ſelbſt, welches mir die
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Liebe bei ihr auszuharren, ſo lange es ihr gefiele,
mich um ſich zu haben und von meinem Vater,
ihrem Sohne, zu reden.
So machte ich mich eines Morgens vor Son¬
nenaufgang auf die Fuͤße und trat den weiteſten
Weg an, den ich bis dahin unternommen hatte.
Ich genoß zum erſten Male das Morgengrauen
im Freien und ſah die Sonne uͤber nachtfeuchten
Waldkaͤmmen aufgehen. Ich wanderte den ganzen
Tag, ohne muͤde zu werden, kam durch viele
Doͤrfer und war wieder ſtundenlang allein in ge¬
dehnten Waldungen oder auf freien heißen Hoͤhen,
mich oft verirrend, aber die verlorne Zeit nicht
bereuend, weil ich fortwaͤhrend in meinen Ge¬
danken beſchaͤftigt war und zum erſten Mal, durch
mein ſtilles Wandern bewegt, von der ernſten
Betrachtung des Schickſals und der Zukunft er¬
fuͤllt wurde. Kornblumen und rother Mohn und
in den Waͤldern bunte Pilze begleiteten mich laͤngs
der ganzen Straße, wunderſchoͤne Wolken bildeten
ſich unablaͤſſig und zogen am tiefen ſtillen Himmel
dahin, ich ging immer zu, indeſſen mich das ſelbſt¬
gefaͤllige Mitleid mit mir ſelbſt, welches mir die
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 393. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/407>, abgerufen am 25.11.2024.
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