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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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und eben so überzeugt sei von der Klarheit und
Nothwendigkeit jedes Punktes, als sie selbst von
ihrer Weisheit. Die Kinder des Latein und des
Griechisch, der Student werden freilich gehätschelt
und gepflegt, damit die Kaste nicht ausgehe; aber
alle Lehrer, welche in den geheiligten Mauern
nicht unterkommen können, betrachten sich auf den
Profanschulen als unglückliche Verbannte, welche
Perlen vor die Säue zu werfen haben. Ich habe
auch Schulmänner gesehen, deren Lebensaufgabe
darin bestand, die Volkserziehung zu verbessern.
Tag und Nacht arbeiteten sie daran, reis'ten herum
auf Kongressen, schrieben Bücher und führten
Polemik; ein inneres Feuer verzehrte sie. Was
Wunder, wenn sie verdrießlich und einsilbig in
die Stunde kamen und ängstlich darüber weg¬
eilten, um nur wieder an die Lösung ihres Einen
Räthsels gehen zu können?

Man begann uns Weltgeschichte zu diktiren,
und unzählige Namen orientalischer Urvölker
schwirrten an uns vorüber, während wir gleich¬
zeitig die Geographie von Europa betrieben, von
dessen Bewohnern wir nichts vernahmen zu selber

und eben ſo uͤberzeugt ſei von der Klarheit und
Nothwendigkeit jedes Punktes, als ſie ſelbſt von
ihrer Weisheit. Die Kinder des Latein und des
Griechiſch, der Student werden freilich gehaͤtſchelt
und gepflegt, damit die Kaſte nicht ausgehe; aber
alle Lehrer, welche in den geheiligten Mauern
nicht unterkommen koͤnnen, betrachten ſich auf den
Profanſchulen als ungluͤckliche Verbannte, welche
Perlen vor die Saͤue zu werfen haben. Ich habe
auch Schulmaͤnner geſehen, deren Lebensaufgabe
darin beſtand, die Volkserziehung zu verbeſſern.
Tag und Nacht arbeiteten ſie daran, reiſ'ten herum
auf Kongreſſen, ſchrieben Buͤcher und fuͤhrten
Polemik; ein inneres Feuer verzehrte ſie. Was
Wunder, wenn ſie verdrießlich und einſilbig in
die Stunde kamen und aͤngſtlich daruͤber weg¬
eilten, um nur wieder an die Loͤſung ihres Einen
Raͤthſels gehen zu koͤnnen?

Man begann uns Weltgeſchichte zu diktiren,
und unzaͤhlige Namen orientaliſcher Urvoͤlker
ſchwirrten an uns voruͤber, waͤhrend wir gleich¬
zeitig die Geographie von Europa betrieben, von
deſſen Bewohnern wir nichts vernahmen zu ſelber

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[362/0376] und eben ſo uͤberzeugt ſei von der Klarheit und Nothwendigkeit jedes Punktes, als ſie ſelbſt von ihrer Weisheit. Die Kinder des Latein und des Griechiſch, der Student werden freilich gehaͤtſchelt und gepflegt, damit die Kaſte nicht ausgehe; aber alle Lehrer, welche in den geheiligten Mauern nicht unterkommen koͤnnen, betrachten ſich auf den Profanſchulen als ungluͤckliche Verbannte, welche Perlen vor die Saͤue zu werfen haben. Ich habe auch Schulmaͤnner geſehen, deren Lebensaufgabe darin beſtand, die Volkserziehung zu verbeſſern. Tag und Nacht arbeiteten ſie daran, reiſ'ten herum auf Kongreſſen, ſchrieben Buͤcher und fuͤhrten Polemik; ein inneres Feuer verzehrte ſie. Was Wunder, wenn ſie verdrießlich und einſilbig in die Stunde kamen und aͤngſtlich daruͤber weg¬ eilten, um nur wieder an die Loͤſung ihres Einen Raͤthſels gehen zu koͤnnen? Man begann uns Weltgeſchichte zu diktiren, und unzaͤhlige Namen orientaliſcher Urvoͤlker ſchwirrten an uns voruͤber, waͤhrend wir gleich¬ zeitig die Geographie von Europa betrieben, von deſſen Bewohnern wir nichts vernahmen zu ſelber

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 362. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/376>, abgerufen am 22.11.2024.