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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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gebrauchte, um seine Hauptkasse zu schonen, als
ob es gar nicht ausgehen wollte.

Endlich saß er seiner Mutter beim Frühstück
gegenüber, auf dem Stuhle, auf welchem der
dreijährige Knabe schon geschaukelt hatte. Es
war nun Alles gethan und vorbereitet; ein Mann
hatte den Koffer nach der Post geholt -- es war
eine Todtenstille in der Stube. Die Morgen¬
sonne umzirkelte die alterthümlichen, ererbten Por¬
zelantassen, welche Heinrich schon zwanzig Jahre
lang durch die Hände seiner Mutter gehen sah,
ohne daß je eine zerbrochen wäre. Es war ein
feierlicher Moment gewesen, als er für würdig
erfunden ward, sein Kinderschüsselchen mit einer
dieser bunten und vergoldeten Tassen versuchs¬
weise zu vertauschen.

Frau Lee hätte ihrem Sohne noch gern aller¬
lei gesagt; aber sie konnte mit ihm gar nicht
sentimental sprechen, so wenig, als er mit ihr.
Endlich sagte sie schüchtern und abgebrochen:

"Werde nur nicht leichtsinnig und vergiß
nicht, daß wir eine Vorsehung haben! Denke an
den lieben Gott, so wird er auch an Dich den¬

gebrauchte, um ſeine Hauptkaſſe zu ſchonen, als
ob es gar nicht ausgehen wollte.

Endlich ſaß er ſeiner Mutter beim Fruͤhſtuͤck
gegenuͤber, auf dem Stuhle, auf welchem der
dreijaͤhrige Knabe ſchon geſchaukelt hatte. Es
war nun Alles gethan und vorbereitet; ein Mann
hatte den Koffer nach der Poſt geholt — es war
eine Todtenſtille in der Stube. Die Morgen¬
ſonne umzirkelte die alterthuͤmlichen, ererbten Por¬
zelantaſſen, welche Heinrich ſchon zwanzig Jahre
lang durch die Haͤnde ſeiner Mutter gehen ſah,
ohne daß je eine zerbrochen waͤre. Es war ein
feierlicher Moment geweſen, als er fuͤr wuͤrdig
erfunden ward, ſein Kinderſchuͤſſelchen mit einer
dieſer bunten und vergoldeten Taſſen verſuchs¬
weiſe zu vertauſchen.

Frau Lee haͤtte ihrem Sohne noch gern aller¬
lei geſagt; aber ſie konnte mit ihm gar nicht
ſentimental ſprechen, ſo wenig, als er mit ihr.
Endlich ſagte ſie ſchuͤchtern und abgebrochen:

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nicht, daß wir eine Vorſehung haben! Denke an
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[23/0037] gebrauchte, um ſeine Hauptkaſſe zu ſchonen, als ob es gar nicht ausgehen wollte. Endlich ſaß er ſeiner Mutter beim Fruͤhſtuͤck gegenuͤber, auf dem Stuhle, auf welchem der dreijaͤhrige Knabe ſchon geſchaukelt hatte. Es war nun Alles gethan und vorbereitet; ein Mann hatte den Koffer nach der Poſt geholt — es war eine Todtenſtille in der Stube. Die Morgen¬ ſonne umzirkelte die alterthuͤmlichen, ererbten Por¬ zelantaſſen, welche Heinrich ſchon zwanzig Jahre lang durch die Haͤnde ſeiner Mutter gehen ſah, ohne daß je eine zerbrochen waͤre. Es war ein feierlicher Moment geweſen, als er fuͤr wuͤrdig erfunden ward, ſein Kinderſchuͤſſelchen mit einer dieſer bunten und vergoldeten Taſſen verſuchs¬ weiſe zu vertauſchen. Frau Lee haͤtte ihrem Sohne noch gern aller¬ lei geſagt; aber ſie konnte mit ihm gar nicht ſentimental ſprechen, ſo wenig, als er mit ihr. Endlich ſagte ſie ſchuͤchtern und abgebrochen: »Werde nur nicht leichtſinnig und vergiß nicht, daß wir eine Vorſehung haben! Denke an den lieben Gott, ſo wird er auch an Dich den¬

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 23. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/37>, abgerufen am 28.03.2024.