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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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lichen Boden für eine weiterzündende Feindschaft
bildeten. Deswegen dachte ich mit Sorge an die
Zukunft und wie das denn nun das ganze Leben
hindurch in der kleinen beschränkten Stadt gehen
sollte? Allein diese Sorge war unnütz, indem ein
trauriger Fall ein frühes Ende herbeiführte. Der
Vater meines Widersachers hatte ein altes wun¬
derliches Gebäude gekauft, welches früher eine
städtische Ritterwohnung gewesen und mit einem
starken Thurme versehen war. Dies Gebäude
wurde nun wohnlich eingerichtet und in allen
Winkeln mit Veränderungen heimgesucht. Für
den Sohn war dies eine goldene Zeit, da nicht
nur das Unternehmen überhaupt eine Spekulation
war, sondern es auch eine Menge Geschicklichkeiten
und Selbsthülfe an den Tag zu legen gab. Jede
Minute, die er frei hatte, steckte er unter den
Bauleuten, ging ihnen an die Hand und über¬
nahm viele Arbeiten ganz, um sie zu ersetzen und
zu sparen. Mein Weg zur Arbeit führte mich
jeden Tag an diesem Hause vorüber und immer
sah ich ihn zwischen zwölf und ein Uhr, wenn alle
Arbeiter ruhten, und am Abend wieder, mit einem

lichen Boden fuͤr eine weiterzuͤndende Feindſchaft
bildeten. Deswegen dachte ich mit Sorge an die
Zukunft und wie das denn nun das ganze Leben
hindurch in der kleinen beſchraͤnkten Stadt gehen
ſollte? Allein dieſe Sorge war unnuͤtz, indem ein
trauriger Fall ein fruͤhes Ende herbeifuͤhrte. Der
Vater meines Widerſachers hatte ein altes wun¬
derliches Gebaͤude gekauft, welches fruͤher eine
ſtaͤdtiſche Ritterwohnung geweſen und mit einem
ſtarken Thurme verſehen war. Dies Gebaͤude
wurde nun wohnlich eingerichtet und in allen
Winkeln mit Veraͤnderungen heimgeſucht. Fuͤr
den Sohn war dies eine goldene Zeit, da nicht
nur das Unternehmen uͤberhaupt eine Spekulation
war, ſondern es auch eine Menge Geſchicklichkeiten
und Selbſthuͤlfe an den Tag zu legen gab. Jede
Minute, die er frei hatte, ſteckte er unter den
Bauleuten, ging ihnen an die Hand und uͤber¬
nahm viele Arbeiten ganz, um ſie zu erſetzen und
zu ſparen. Mein Weg zur Arbeit fuͤhrte mich
jeden Tag an dieſem Hauſe voruͤber und immer
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[351/0365] lichen Boden fuͤr eine weiterzuͤndende Feindſchaft bildeten. Deswegen dachte ich mit Sorge an die Zukunft und wie das denn nun das ganze Leben hindurch in der kleinen beſchraͤnkten Stadt gehen ſollte? Allein dieſe Sorge war unnuͤtz, indem ein trauriger Fall ein fruͤhes Ende herbeifuͤhrte. Der Vater meines Widerſachers hatte ein altes wun¬ derliches Gebaͤude gekauft, welches fruͤher eine ſtaͤdtiſche Ritterwohnung geweſen und mit einem ſtarken Thurme verſehen war. Dies Gebaͤude wurde nun wohnlich eingerichtet und in allen Winkeln mit Veraͤnderungen heimgeſucht. Fuͤr den Sohn war dies eine goldene Zeit, da nicht nur das Unternehmen uͤberhaupt eine Spekulation war, ſondern es auch eine Menge Geſchicklichkeiten und Selbſthuͤlfe an den Tag zu legen gab. Jede Minute, die er frei hatte, ſteckte er unter den Bauleuten, ging ihnen an die Hand und uͤber¬ nahm viele Arbeiten ganz, um ſie zu erſetzen und zu ſparen. Mein Weg zur Arbeit fuͤhrte mich jeden Tag an dieſem Hauſe voruͤber und immer ſah ich ihn zwiſchen zwoͤlf und ein Uhr, wenn alle Arbeiter ruhten, und am Abend wieder, mit einem

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 351. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/365>, abgerufen am 22.11.2024.