Aber er hütete sich wohl, mir diese Gelegenheit zu bieten, wurde immer gemessener im Umgange und zog sich zuletzt ganz zurück, mich nur auf¬ suchend, um seine Forderung nun mit kurzen, fast feindlichen Worten zu wiederholen. Er mochte ahnen, daß eine Krisis für mich nahe bevorstehe; daher war er besorgt, noch vor dem Ausbruche derselben sein so lang und sorglich gepflegtes Schäfchen in's Trockene zu bringen. Und so war es auch. Um diese Zeit war meine Mutter durch die verspätete Mittheilung eines Bekannten auf¬ merksam gemacht worden, sie erfuhr endlich mein bisheriges Treiben außer dem Hause, woran hauptsächlich die übrigen Kumpane Schuld sein mochten, die sich schon früher von mir gewendet hatten, als meine Niedergeschlagenheit begonnen.
Eines Tages, als ich am Fenster stand und für meine Blicke auf den besonnten Dächern, im Gebirge und am Himmel stille Ruhepunkte und die vorwurfsvolle Stube hinter mir zu vergessen suchte, rief mich die Mutter mit ungewohnter Stimme beim Namen; ich wandte mich um, da stand sie neben dem Tische und auf demselben das
Aber er huͤtete ſich wohl, mir dieſe Gelegenheit zu bieten, wurde immer gemeſſener im Umgange und zog ſich zuletzt ganz zuruͤck, mich nur auf¬ ſuchend, um ſeine Forderung nun mit kurzen, faſt feindlichen Worten zu wiederholen. Er mochte ahnen, daß eine Kriſis fuͤr mich nahe bevorſtehe; daher war er beſorgt, noch vor dem Ausbruche derſelben ſein ſo lang und ſorglich gepflegtes Schaͤfchen in's Trockene zu bringen. Und ſo war es auch. Um dieſe Zeit war meine Mutter durch die verſpaͤtete Mittheilung eines Bekannten auf¬ merkſam gemacht worden, ſie erfuhr endlich mein bisheriges Treiben außer dem Hauſe, woran hauptſaͤchlich die uͤbrigen Kumpane Schuld ſein mochten, die ſich ſchon fruͤher von mir gewendet hatten, als meine Niedergeſchlagenheit begonnen.
Eines Tages, als ich am Fenſter ſtand und fuͤr meine Blicke auf den beſonnten Daͤchern, im Gebirge und am Himmel ſtille Ruhepunkte und die vorwurfsvolle Stube hinter mir zu vergeſſen ſuchte, rief mich die Mutter mit ungewohnter Stimme beim Namen; ich wandte mich um, da ſtand ſie neben dem Tiſche und auf demſelben das
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0345"n="331"/>
Aber er huͤtete ſich wohl, mir dieſe Gelegenheit<lb/>
zu bieten, wurde immer gemeſſener im Umgange<lb/>
und zog ſich zuletzt ganz zuruͤck, mich nur auf¬<lb/>ſuchend, um ſeine Forderung nun mit kurzen, faſt<lb/>
feindlichen Worten zu wiederholen. Er mochte<lb/>
ahnen, daß eine Kriſis fuͤr mich nahe bevorſtehe;<lb/>
daher war er beſorgt, noch vor dem Ausbruche<lb/>
derſelben ſein ſo lang und ſorglich gepflegtes<lb/>
Schaͤfchen in's Trockene zu bringen. Und ſo war<lb/>
es auch. Um dieſe Zeit war meine Mutter durch<lb/>
die verſpaͤtete Mittheilung eines Bekannten auf¬<lb/>
merkſam gemacht worden, ſie erfuhr endlich mein<lb/>
bisheriges Treiben außer dem Hauſe, woran<lb/>
hauptſaͤchlich die uͤbrigen Kumpane Schuld ſein<lb/>
mochten, die ſich ſchon fruͤher von mir gewendet<lb/>
hatten, als meine Niedergeſchlagenheit begonnen.</p><lb/><p>Eines Tages, als ich am Fenſter ſtand und<lb/>
fuͤr meine Blicke auf den beſonnten Daͤchern, im<lb/>
Gebirge und am Himmel ſtille Ruhepunkte und<lb/>
die vorwurfsvolle Stube hinter mir zu vergeſſen<lb/>ſuchte, rief mich die Mutter mit ungewohnter<lb/>
Stimme beim Namen; ich wandte mich um, da<lb/>ſtand ſie neben dem Tiſche und auf demſelben das<lb/></p></div></body></text></TEI>
[331/0345]
Aber er huͤtete ſich wohl, mir dieſe Gelegenheit
zu bieten, wurde immer gemeſſener im Umgange
und zog ſich zuletzt ganz zuruͤck, mich nur auf¬
ſuchend, um ſeine Forderung nun mit kurzen, faſt
feindlichen Worten zu wiederholen. Er mochte
ahnen, daß eine Kriſis fuͤr mich nahe bevorſtehe;
daher war er beſorgt, noch vor dem Ausbruche
derſelben ſein ſo lang und ſorglich gepflegtes
Schaͤfchen in's Trockene zu bringen. Und ſo war
es auch. Um dieſe Zeit war meine Mutter durch
die verſpaͤtete Mittheilung eines Bekannten auf¬
merkſam gemacht worden, ſie erfuhr endlich mein
bisheriges Treiben außer dem Hauſe, woran
hauptſaͤchlich die uͤbrigen Kumpane Schuld ſein
mochten, die ſich ſchon fruͤher von mir gewendet
hatten, als meine Niedergeſchlagenheit begonnen.
Eines Tages, als ich am Fenſter ſtand und
fuͤr meine Blicke auf den beſonnten Daͤchern, im
Gebirge und am Himmel ſtille Ruhepunkte und
die vorwurfsvolle Stube hinter mir zu vergeſſen
ſuchte, rief mich die Mutter mit ungewohnter
Stimme beim Namen; ich wandte mich um, da
ſtand ſie neben dem Tiſche und auf demſelben das
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 331. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/345>, abgerufen am 22.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.