Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

durch Aufmerksamkeit und Ausdauer, und brachte
Alles, was er unternahm, auf eine zierliche Weise
zu Stande. Meierlein, so hieß er, besaß aber
kein tieferes Talent; in seinen verschiedensten Un¬
ternehmungen war nie etwas Neues oder Eigenes
sichtbar, sondern er brachte nur das gut zu Wege,
was er sich vorgemacht sah, und ihn beseelte nur
ein unablässiges Bedürfniß, sich alles Erdenkliche
anzueignen. Deshalb konnte er ebensowohl eine
vollkommene und reinliche Papparbeit hervorbrin¬
gen, als über einen breiten Graben setzen oder
Ballschlagen, oder mit einem Steinchen eine be¬
zeichnete Stelle an einer Mauer treffen, alles
durch langsame und anhaltende Uebung; seine
Schulhefte waren correct und in bester Ordnung,
seine Schrift klein und zierlich, besonders seine
Zahlen wußte er ausnehmend angenehm und
rundlich in Reihen zu setzen. Seine vorzüglichste
Gabe aber war eine gewisse Fähigkeit, mit ver¬
ständiger Besprechung Alles zu überspinnen,
Verhältnisse auszuklügeln und mit vielsagender
Miene Aufschlüsse und Vermuthungen aufzustel¬
len, welche über unser Alter hinausgingen. Dabei

durch Aufmerkſamkeit und Ausdauer, und brachte
Alles, was er unternahm, auf eine zierliche Weiſe
zu Stande. Meierlein, ſo hieß er, beſaß aber
kein tieferes Talent; in ſeinen verſchiedenſten Un¬
ternehmungen war nie etwas Neues oder Eigenes
ſichtbar, ſondern er brachte nur das gut zu Wege,
was er ſich vorgemacht ſah, und ihn beſeelte nur
ein unablaͤſſiges Beduͤrfniß, ſich alles Erdenkliche
anzueignen. Deshalb konnte er ebenſowohl eine
vollkommene und reinliche Papparbeit hervorbrin¬
gen, als uͤber einen breiten Graben ſetzen oder
Ballſchlagen, oder mit einem Steinchen eine be¬
zeichnete Stelle an einer Mauer treffen, alles
durch langſame und anhaltende Uebung; ſeine
Schulhefte waren correct und in beſter Ordnung,
ſeine Schrift klein und zierlich, beſonders ſeine
Zahlen wußte er ausnehmend angenehm und
rundlich in Reihen zu ſetzen. Seine vorzuͤglichſte
Gabe aber war eine gewiſſe Faͤhigkeit, mit ver¬
ſtaͤndiger Beſprechung Alles zu uͤberſpinnen,
Verhaͤltniſſe auszukluͤgeln und mit vielſagender
Miene Aufſchluͤſſe und Vermuthungen aufzuſtel¬
len, welche uͤber unſer Alter hinausgingen. Dabei

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0339" n="325"/>
durch Aufmerk&#x017F;amkeit und Ausdauer, und brachte<lb/>
Alles, was er unternahm, auf eine zierliche Wei&#x017F;e<lb/>
zu Stande. Meierlein, &#x017F;o hieß er, be&#x017F;aß aber<lb/>
kein tieferes Talent; in &#x017F;einen ver&#x017F;chieden&#x017F;ten Un¬<lb/>
ternehmungen war nie etwas Neues oder Eigenes<lb/>
&#x017F;ichtbar, &#x017F;ondern er brachte nur das gut zu Wege,<lb/>
was er &#x017F;ich vorgemacht &#x017F;ah, und ihn be&#x017F;eelte nur<lb/>
ein unabla&#x0364;&#x017F;&#x017F;iges Bedu&#x0364;rfniß, &#x017F;ich alles Erdenkliche<lb/>
anzueignen. Deshalb konnte er eben&#x017F;owohl eine<lb/>
vollkommene und reinliche Papparbeit hervorbrin¬<lb/>
gen, als u&#x0364;ber einen breiten Graben &#x017F;etzen oder<lb/>
Ball&#x017F;chlagen, oder mit einem Steinchen eine be¬<lb/>
zeichnete Stelle an einer Mauer treffen, alles<lb/>
durch lang&#x017F;ame und anhaltende Uebung; &#x017F;eine<lb/>
Schulhefte waren correct und in be&#x017F;ter Ordnung,<lb/>
&#x017F;eine Schrift klein und zierlich, be&#x017F;onders &#x017F;eine<lb/>
Zahlen wußte er ausnehmend angenehm und<lb/>
rundlich in Reihen zu &#x017F;etzen. Seine vorzu&#x0364;glich&#x017F;te<lb/>
Gabe aber war eine gewi&#x017F;&#x017F;e Fa&#x0364;higkeit, mit ver¬<lb/>
&#x017F;ta&#x0364;ndiger Be&#x017F;prechung Alles zu u&#x0364;ber&#x017F;pinnen,<lb/>
Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e auszuklu&#x0364;geln und mit viel&#x017F;agender<lb/>
Miene Auf&#x017F;chlu&#x0364;&#x017F;&#x017F;e und Vermuthungen aufzu&#x017F;tel¬<lb/>
len, welche u&#x0364;ber un&#x017F;er Alter hinausgingen. Dabei<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[325/0339] durch Aufmerkſamkeit und Ausdauer, und brachte Alles, was er unternahm, auf eine zierliche Weiſe zu Stande. Meierlein, ſo hieß er, beſaß aber kein tieferes Talent; in ſeinen verſchiedenſten Un¬ ternehmungen war nie etwas Neues oder Eigenes ſichtbar, ſondern er brachte nur das gut zu Wege, was er ſich vorgemacht ſah, und ihn beſeelte nur ein unablaͤſſiges Beduͤrfniß, ſich alles Erdenkliche anzueignen. Deshalb konnte er ebenſowohl eine vollkommene und reinliche Papparbeit hervorbrin¬ gen, als uͤber einen breiten Graben ſetzen oder Ballſchlagen, oder mit einem Steinchen eine be¬ zeichnete Stelle an einer Mauer treffen, alles durch langſame und anhaltende Uebung; ſeine Schulhefte waren correct und in beſter Ordnung, ſeine Schrift klein und zierlich, beſonders ſeine Zahlen wußte er ausnehmend angenehm und rundlich in Reihen zu ſetzen. Seine vorzuͤglichſte Gabe aber war eine gewiſſe Faͤhigkeit, mit ver¬ ſtaͤndiger Beſprechung Alles zu uͤberſpinnen, Verhaͤltniſſe auszukluͤgeln und mit vielſagender Miene Aufſchluͤſſe und Vermuthungen aufzuſtel¬ len, welche uͤber unſer Alter hinausgingen. Dabei

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/339
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 325. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/339>, abgerufen am 17.05.2024.