Romantik waren. Jedoch hielt dies nur halb¬ verdächtige Treiben nicht lange vor, vielmehr sah er sich bald darauf verwiesen, zuzugreifen, wo er konnte. Denn er gehörte zu jenen Menschen, welche nicht gesonnen sind, sich in ihren Begier¬ den im Mindesten zu beschränken und in der Ge¬ meinheit ihrer Gesinnung dem Nächsten mit List oder Gewalt das entreißen, was er gutwillig nicht lassen will. Diese niedere Gesinnung ist gleichmäßig der Ursprung scheinbar ganz verschie¬ dener Erscheinungen. Sie beseelt den ungeliebten Herrscher, welcher, in seinem Dasein jedem Kinde im Lande ein Ueberdruß, doch nicht von seiner Stelle weicht und nicht zu stolz ist, sich vom Herzblute des verachteten und gehaßten Volkes zu nähren; sie ist der Kern der Leidenschaftlichkeit eines Verliebten, welcher, nachdem er einmal die bestimmte Erklärung der Nichterwiederung erhal¬ ten hat, sich nicht sogleich bescheidet und in den edlen Schmerz der Entsagung hüllt, sondern mit gewaltsamer Aufdringlichkeit ein fremdes Leben verbittert; wie in allen diesen Zügen, lebt sie endlich auch in der Selbstsucht des Betrügers
Romantik waren. Jedoch hielt dies nur halb¬ verdaͤchtige Treiben nicht lange vor, vielmehr ſah er ſich bald darauf verwieſen, zuzugreifen, wo er konnte. Denn er gehoͤrte zu jenen Menſchen, welche nicht geſonnen ſind, ſich in ihren Begier¬ den im Mindeſten zu beſchraͤnken und in der Ge¬ meinheit ihrer Geſinnung dem Naͤchſten mit Liſt oder Gewalt das entreißen, was er gutwillig nicht laſſen will. Dieſe niedere Geſinnung iſt gleichmaͤßig der Urſprung ſcheinbar ganz verſchie¬ dener Erſcheinungen. Sie beſeelt den ungeliebten Herrſcher, welcher, in ſeinem Daſein jedem Kinde im Lande ein Ueberdruß, doch nicht von ſeiner Stelle weicht und nicht zu ſtolz iſt, ſich vom Herzblute des verachteten und gehaßten Volkes zu naͤhren; ſie iſt der Kern der Leidenſchaftlichkeit eines Verliebten, welcher, nachdem er einmal die beſtimmte Erklaͤrung der Nichterwiederung erhal¬ ten hat, ſich nicht ſogleich beſcheidet und in den edlen Schmerz der Entſagung huͤllt, ſondern mit gewaltſamer Aufdringlichkeit ein fremdes Leben verbittert; wie in allen dieſen Zuͤgen, lebt ſie endlich auch in der Selbſtſucht des Betruͤgers
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0311"n="297"/>
Romantik waren. Jedoch hielt dies nur halb¬<lb/>
verdaͤchtige Treiben nicht lange vor, vielmehr ſah<lb/>
er ſich bald darauf verwieſen, zuzugreifen, wo er<lb/>
konnte. Denn er gehoͤrte zu jenen Menſchen,<lb/>
welche nicht geſonnen ſind, ſich in ihren Begier¬<lb/>
den im Mindeſten zu beſchraͤnken und in der Ge¬<lb/>
meinheit ihrer Geſinnung dem Naͤchſten mit Liſt<lb/>
oder Gewalt das entreißen, was er gutwillig<lb/>
nicht laſſen will. Dieſe niedere Geſinnung iſt<lb/>
gleichmaͤßig der Urſprung ſcheinbar ganz verſchie¬<lb/>
dener Erſcheinungen. Sie beſeelt den ungeliebten<lb/>
Herrſcher, welcher, in ſeinem Daſein jedem Kinde<lb/>
im Lande ein Ueberdruß, doch nicht von ſeiner<lb/>
Stelle weicht und nicht zu ſtolz iſt, ſich vom<lb/>
Herzblute des verachteten und gehaßten Volkes<lb/>
zu naͤhren; ſie iſt der Kern der Leidenſchaftlichkeit<lb/>
eines Verliebten, welcher, nachdem er einmal die<lb/>
beſtimmte Erklaͤrung der Nichterwiederung erhal¬<lb/>
ten hat, ſich nicht ſogleich beſcheidet und in den<lb/>
edlen Schmerz der Entſagung huͤllt, ſondern mit<lb/>
gewaltſamer Aufdringlichkeit ein fremdes Leben<lb/>
verbittert; wie in allen dieſen Zuͤgen, lebt ſie<lb/>
endlich auch in der Selbſtſucht des Betruͤgers<lb/></p></div></body></text></TEI>
[297/0311]
Romantik waren. Jedoch hielt dies nur halb¬
verdaͤchtige Treiben nicht lange vor, vielmehr ſah
er ſich bald darauf verwieſen, zuzugreifen, wo er
konnte. Denn er gehoͤrte zu jenen Menſchen,
welche nicht geſonnen ſind, ſich in ihren Begier¬
den im Mindeſten zu beſchraͤnken und in der Ge¬
meinheit ihrer Geſinnung dem Naͤchſten mit Liſt
oder Gewalt das entreißen, was er gutwillig
nicht laſſen will. Dieſe niedere Geſinnung iſt
gleichmaͤßig der Urſprung ſcheinbar ganz verſchie¬
dener Erſcheinungen. Sie beſeelt den ungeliebten
Herrſcher, welcher, in ſeinem Daſein jedem Kinde
im Lande ein Ueberdruß, doch nicht von ſeiner
Stelle weicht und nicht zu ſtolz iſt, ſich vom
Herzblute des verachteten und gehaßten Volkes
zu naͤhren; ſie iſt der Kern der Leidenſchaftlichkeit
eines Verliebten, welcher, nachdem er einmal die
beſtimmte Erklaͤrung der Nichterwiederung erhal¬
ten hat, ſich nicht ſogleich beſcheidet und in den
edlen Schmerz der Entſagung huͤllt, ſondern mit
gewaltſamer Aufdringlichkeit ein fremdes Leben
verbittert; wie in allen dieſen Zuͤgen, lebt ſie
endlich auch in der Selbſtſucht des Betruͤgers
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 297. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/311>, abgerufen am 25.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.