Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite
nächste Seite >>

deln und die vielfältigen Erinnerungen an die
Galanterie der ungetreuen Ritter, als gemalte
Blumenkränze mit Sprüchen, Stammbücher voll
verliebter Verse und Freundschaftstempel, künst¬
liche Ostereier, in welchen ein kleiner Amor ver¬
borgen lag u. dgl. Alles in Allem genommen
will es mir scheinen, daß auch dieses Elend so¬
wohl, wie das entgegengesetzte Extrem, die reli¬
giöse Sectirerei und das fanatische Bibelauslegen
armer Leute, wie ich es im Hause der Frau Mar¬
greth fand, nur die verwischte Spur eines edleren
Herzensbedürfnisses und das heiße Suchen nach
einer schöneren Wirklichkeit sei.

Bei dem Sohne dieses Hauses machte sich,
als er größer wurde, die vielgeübte Phantasie auf
andere, nicht minder bedenkliche Weise geltend.
Er wurde sehr genußsüchtig, lag schon als Han¬
delslehrling in den Wirthshäusern als ein eifri¬
ger Spieler und war bei allen öffentlichen Ver¬
gnügen zu sehen. Dazu brauchte er viel Geld
und um sich dieses zu verschaffen, verfiel er auf
die sonderbarsten Erfindungen, Lügen und Ränke,
welche ihm nur eine Art Fortsetzung der früheren

deln und die vielfaͤltigen Erinnerungen an die
Galanterie der ungetreuen Ritter, als gemalte
Blumenkraͤnze mit Spruͤchen, Stammbuͤcher voll
verliebter Verſe und Freundſchaftstempel, kuͤnſt¬
liche Oſtereier, in welchen ein kleiner Amor ver¬
borgen lag u. dgl. Alles in Allem genommen
will es mir ſcheinen, daß auch dieſes Elend ſo¬
wohl, wie das entgegengeſetzte Extrem, die reli¬
gioͤſe Sectirerei und das fanatiſche Bibelauslegen
armer Leute, wie ich es im Hauſe der Frau Mar¬
greth fand, nur die verwiſchte Spur eines edleren
Herzensbeduͤrfniſſes und das heiße Suchen nach
einer ſchoͤneren Wirklichkeit ſei.

Bei dem Sohne dieſes Hauſes machte ſich,
als er groͤßer wurde, die vielgeuͤbte Phantaſie auf
andere, nicht minder bedenkliche Weiſe geltend.
Er wurde ſehr genußſuͤchtig, lag ſchon als Han¬
delslehrling in den Wirthshaͤuſern als ein eifri¬
ger Spieler und war bei allen oͤffentlichen Ver¬
gnuͤgen zu ſehen. Dazu brauchte er viel Geld
und um ſich dieſes zu verſchaffen, verfiel er auf
die ſonderbarſten Erfindungen, Luͤgen und Raͤnke,
welche ihm nur eine Art Fortſetzung der fruͤheren

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0310" n="296"/>
deln und die vielfa&#x0364;ltigen Erinnerungen an die<lb/>
Galanterie der ungetreuen Ritter, als gemalte<lb/>
Blumenkra&#x0364;nze mit Spru&#x0364;chen, Stammbu&#x0364;cher voll<lb/>
verliebter Ver&#x017F;e und Freund&#x017F;chaftstempel, ku&#x0364;n&#x017F;t¬<lb/>
liche O&#x017F;tereier, in welchen ein kleiner Amor ver¬<lb/>
borgen lag u. dgl. Alles in Allem genommen<lb/>
will es mir &#x017F;cheinen, daß auch die&#x017F;es Elend &#x017F;o¬<lb/>
wohl, wie das entgegenge&#x017F;etzte Extrem, die reli¬<lb/>
gio&#x0364;&#x017F;e Sectirerei und das fanati&#x017F;che Bibelauslegen<lb/>
armer Leute, wie ich es im Hau&#x017F;e der Frau Mar¬<lb/>
greth fand, nur die verwi&#x017F;chte Spur eines edleren<lb/>
Herzensbedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;es und das heiße Suchen nach<lb/>
einer &#x017F;cho&#x0364;neren Wirklichkeit &#x017F;ei.</p><lb/>
        <p>Bei dem Sohne die&#x017F;es Hau&#x017F;es machte &#x017F;ich,<lb/>
als er gro&#x0364;ßer wurde, die vielgeu&#x0364;bte Phanta&#x017F;ie auf<lb/>
andere, nicht minder bedenkliche Wei&#x017F;e geltend.<lb/>
Er wurde &#x017F;ehr genuß&#x017F;u&#x0364;chtig, lag &#x017F;chon als Han¬<lb/>
delslehrling in den Wirthsha&#x0364;u&#x017F;ern als ein eifri¬<lb/>
ger Spieler und war bei allen o&#x0364;ffentlichen Ver¬<lb/>
gnu&#x0364;gen zu &#x017F;ehen. Dazu brauchte er viel Geld<lb/>
und um &#x017F;ich die&#x017F;es zu ver&#x017F;chaffen, verfiel er auf<lb/>
die &#x017F;onderbar&#x017F;ten Erfindungen, Lu&#x0364;gen und Ra&#x0364;nke,<lb/>
welche ihm nur eine Art Fort&#x017F;etzung der fru&#x0364;heren<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[296/0310] deln und die vielfaͤltigen Erinnerungen an die Galanterie der ungetreuen Ritter, als gemalte Blumenkraͤnze mit Spruͤchen, Stammbuͤcher voll verliebter Verſe und Freundſchaftstempel, kuͤnſt¬ liche Oſtereier, in welchen ein kleiner Amor ver¬ borgen lag u. dgl. Alles in Allem genommen will es mir ſcheinen, daß auch dieſes Elend ſo¬ wohl, wie das entgegengeſetzte Extrem, die reli¬ gioͤſe Sectirerei und das fanatiſche Bibelauslegen armer Leute, wie ich es im Hauſe der Frau Mar¬ greth fand, nur die verwiſchte Spur eines edleren Herzensbeduͤrfniſſes und das heiße Suchen nach einer ſchoͤneren Wirklichkeit ſei. Bei dem Sohne dieſes Hauſes machte ſich, als er groͤßer wurde, die vielgeuͤbte Phantaſie auf andere, nicht minder bedenkliche Weiſe geltend. Er wurde ſehr genußſuͤchtig, lag ſchon als Han¬ delslehrling in den Wirthshaͤuſern als ein eifri¬ ger Spieler und war bei allen oͤffentlichen Ver¬ gnuͤgen zu ſehen. Dazu brauchte er viel Geld und um ſich dieſes zu verſchaffen, verfiel er auf die ſonderbarſten Erfindungen, Luͤgen und Raͤnke, welche ihm nur eine Art Fortſetzung der fruͤheren

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/310
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 296. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/310>, abgerufen am 17.05.2024.