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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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ich in der gleichen Richtung nachahmend hinsah,
gingen meine Blicke dem leeren, gemalten Spie¬
gel vorbei hinter die Coulisse und entdeckten dort
in der Wirrniß des jenseitigen Lebens das Bild,
welches Faust zu sehen vorgab. Gretchen war
unterdessen auf die Bühne gekommen und legte
sich, einige tief bewegte Worte nach rückwärts
rufend, eben die letzte Schminke auf, nachdem
sie sich Augen und Wangen mit einem weißen
Tuche sorglich und fest getrocknet hatte, als ob
sie geweint hätte. Es war eine sehr schöne Frau,
von welcher ich kein Auge mehr abwandte, un¬
geachtet der heimlichen Püffe und Schelten, welche
ich von meinen fleißigen Mitmeerkatzen erhielt.
So verlangte ich, der ich mich vorher nach dieser
höheren Sphäre gesehnt hatte, nun nichts weiter,
als dorthin zurückzukehren, wo die volle schöne
Frauengestalt wandelte.

Die Zeit unseres Wirkens ging endlich vorü¬
ber, und ich machte meinen ersten und einzigen
guten Sprung, als ich leidenschaftlich vom Schau¬
platze abtrat oder sprang, und mich möglichst in

ich in der gleichen Richtung nachahmend hinſah,
gingen meine Blicke dem leeren, gemalten Spie¬
gel vorbei hinter die Couliſſe und entdeckten dort
in der Wirrniß des jenſeitigen Lebens das Bild,
welches Fauſt zu ſehen vorgab. Gretchen war
unterdeſſen auf die Buͤhne gekommen und legte
ſich, einige tief bewegte Worte nach ruͤckwaͤrts
rufend, eben die letzte Schminke auf, nachdem
ſie ſich Augen und Wangen mit einem weißen
Tuche ſorglich und feſt getrocknet hatte, als ob
ſie geweint haͤtte. Es war eine ſehr ſchoͤne Frau,
von welcher ich kein Auge mehr abwandte, un¬
geachtet der heimlichen Puͤffe und Schelten, welche
ich von meinen fleißigen Mitmeerkatzen erhielt.
So verlangte ich, der ich mich vorher nach dieſer
hoͤheren Sphaͤre geſehnt hatte, nun nichts weiter,
als dorthin zuruͤckzukehren, wo die volle ſchoͤne
Frauengeſtalt wandelte.

Die Zeit unſeres Wirkens ging endlich voruͤ¬
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[271/0285] ich in der gleichen Richtung nachahmend hinſah, gingen meine Blicke dem leeren, gemalten Spie¬ gel vorbei hinter die Couliſſe und entdeckten dort in der Wirrniß des jenſeitigen Lebens das Bild, welches Fauſt zu ſehen vorgab. Gretchen war unterdeſſen auf die Buͤhne gekommen und legte ſich, einige tief bewegte Worte nach ruͤckwaͤrts rufend, eben die letzte Schminke auf, nachdem ſie ſich Augen und Wangen mit einem weißen Tuche ſorglich und feſt getrocknet hatte, als ob ſie geweint haͤtte. Es war eine ſehr ſchoͤne Frau, von welcher ich kein Auge mehr abwandte, un¬ geachtet der heimlichen Puͤffe und Schelten, welche ich von meinen fleißigen Mitmeerkatzen erhielt. So verlangte ich, der ich mich vorher nach dieſer hoͤheren Sphaͤre geſehnt hatte, nun nichts weiter, als dorthin zuruͤckzukehren, wo die volle ſchoͤne Frauengeſtalt wandelte. Die Zeit unſeres Wirkens ging endlich voruͤ¬ ber, und ich machte meinen erſten und einzigen guten Sprung, als ich leidenſchaftlich vom Schau¬ platze abtrat oder ſprang, und mich moͤglichſt in

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 271. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/285>, abgerufen am 18.05.2024.