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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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sie mit Sternen und diese mit Namen; der glück¬
seligste war mein Vater, zunächst dem Auge
Gottes, noch innerhalb des Dreieckes, und schien
durch dieses allsehende Auge auf die Mutter und
mich herunter zu schauen, welche in den schönsten
Gegenden der Erde spazierten. Meine Wider¬
sacher aber schmachteten sämmtlich in der Hölle,
wo der Böse mit einem ansehnlichen Schwanze
begabt war. Je nach dem Verhalten der Men¬
schen veränderte ich ihre Stellungen, beförderte
sie in reinere Gegenden oder setzte sie zurück, wo
Heulen und Zähnklappen war. Manchen ließ ich
prüfungsweise im Unbestimmten schweben, sperrte
auch wohl zwei, die sich im Leben nicht aus¬
stehen mochten, zusammen in eine abgelegene
Region, indessen ich zwei Andere, die sich gern
hatten, trennte, um sie nach vielen Prüfungen
zusammenzubringen an einem glückseligeren Orte.
Ich führte so ganz im Geheimen eine genaue
Uebersicht und Schicksalsbestimmung aller mir
bekannten Leute, jung und alt.

In der Theosophie war ferner anbefohlen,
geschmolzenes Wachs in Wasser zu gießen, um

ſie mit Sternen und dieſe mit Namen; der gluͤck¬
ſeligſte war mein Vater, zunaͤchſt dem Auge
Gottes, noch innerhalb des Dreieckes, und ſchien
durch dieſes allſehende Auge auf die Mutter und
mich herunter zu ſchauen, welche in den ſchoͤnſten
Gegenden der Erde ſpazierten. Meine Wider¬
ſacher aber ſchmachteten ſaͤmmtlich in der Hoͤlle,
wo der Boͤſe mit einem anſehnlichen Schwanze
begabt war. Je nach dem Verhalten der Men¬
ſchen veraͤnderte ich ihre Stellungen, befoͤrderte
ſie in reinere Gegenden oder ſetzte ſie zuruͤck, wo
Heulen und Zaͤhnklappen war. Manchen ließ ich
pruͤfungsweiſe im Unbeſtimmten ſchweben, ſperrte
auch wohl zwei, die ſich im Leben nicht aus¬
ſtehen mochten, zuſammen in eine abgelegene
Region, indeſſen ich zwei Andere, die ſich gern
hatten, trennte, um ſie nach vielen Pruͤfungen
zuſammenzubringen an einem gluͤckſeligeren Orte.
Ich fuͤhrte ſo ganz im Geheimen eine genaue
Ueberſicht und Schickſalsbeſtimmung aller mir
bekannten Leute, jung und alt.

In der Theoſophie war ferner anbefohlen,
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[252/0266] ſie mit Sternen und dieſe mit Namen; der gluͤck¬ ſeligſte war mein Vater, zunaͤchſt dem Auge Gottes, noch innerhalb des Dreieckes, und ſchien durch dieſes allſehende Auge auf die Mutter und mich herunter zu ſchauen, welche in den ſchoͤnſten Gegenden der Erde ſpazierten. Meine Wider¬ ſacher aber ſchmachteten ſaͤmmtlich in der Hoͤlle, wo der Boͤſe mit einem anſehnlichen Schwanze begabt war. Je nach dem Verhalten der Men¬ ſchen veraͤnderte ich ihre Stellungen, befoͤrderte ſie in reinere Gegenden oder ſetzte ſie zuruͤck, wo Heulen und Zaͤhnklappen war. Manchen ließ ich pruͤfungsweiſe im Unbeſtimmten ſchweben, ſperrte auch wohl zwei, die ſich im Leben nicht aus¬ ſtehen mochten, zuſammen in eine abgelegene Region, indeſſen ich zwei Andere, die ſich gern hatten, trennte, um ſie nach vielen Pruͤfungen zuſammenzubringen an einem gluͤckſeligeren Orte. Ich fuͤhrte ſo ganz im Geheimen eine genaue Ueberſicht und Schickſalsbeſtimmung aller mir bekannten Leute, jung und alt. In der Theoſophie war ferner anbefohlen, geſchmolzenes Wachs in Waſſer zu gießen, um

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 252. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/266>, abgerufen am 22.11.2024.