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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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allzu fremd und unfreundlich waren. Denn ob¬
gleich die Kinder der Armen nicht schlimmer und
etwa boshafter sind, als die der Reichen oder
sonst Geborgenen, im Gegentheil eher unschul¬
diger und gutmüthiger, so haben sie doch manch¬
mal äußerliche grinsende Derbheiten in ihren
Gebehrden, welche mich bei einigen Mitschülern
abstießen.

Die erste männliche Kleidung, welche ich er¬
hielt, war grün, da meine Mutter aus der
Schützenkleidung des Vaters eine Zwillingstracht
für mich schneiden ließ, für den Sonntag einen
Anzug und für die Werktage einen. Auch fast
alle nachgelassenen bürgerlichen Gewänder waren
von grüner Farbe; bis zu meinem zwölften
Jahre aber reichte der Nachlaß zur Herstellung
von grünen Jacken und Röcklein aus, bei der
großen Strenge und Aufmerksamkeit der Mutter
für Schonung und Reinhaltung der Kleider, so
daß ich von der unveränderlichen Farbe schon
früh den Namen "grüner Heinreich" erhielt und
in unserm Städtchen bis auf den heutigen Tag
trug. Als solcher machte ich in der Schule und

allzu fremd und unfreundlich waren. Denn ob¬
gleich die Kinder der Armen nicht ſchlimmer und
etwa boshafter ſind, als die der Reichen oder
ſonſt Geborgenen, im Gegentheil eher unſchul¬
diger und gutmuͤthiger, ſo haben ſie doch manch¬
mal aͤußerliche grinſende Derbheiten in ihren
Gebehrden, welche mich bei einigen Mitſchuͤlern
abſtießen.

Die erſte maͤnnliche Kleidung, welche ich er¬
hielt, war gruͤn, da meine Mutter aus der
Schuͤtzenkleidung des Vaters eine Zwillingstracht
fuͤr mich ſchneiden ließ, fuͤr den Sonntag einen
Anzug und fuͤr die Werktage einen. Auch faſt
alle nachgelaſſenen buͤrgerlichen Gewaͤnder waren
von gruͤner Farbe; bis zu meinem zwoͤlften
Jahre aber reichte der Nachlaß zur Herſtellung
von gruͤnen Jacken und Roͤcklein aus, bei der
großen Strenge und Aufmerkſamkeit der Mutter
fuͤr Schonung und Reinhaltung der Kleider, ſo
daß ich von der unveraͤnderlichen Farbe ſchon
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in unſerm Staͤdtchen bis auf den heutigen Tag
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[231/0245] allzu fremd und unfreundlich waren. Denn ob¬ gleich die Kinder der Armen nicht ſchlimmer und etwa boshafter ſind, als die der Reichen oder ſonſt Geborgenen, im Gegentheil eher unſchul¬ diger und gutmuͤthiger, ſo haben ſie doch manch¬ mal aͤußerliche grinſende Derbheiten in ihren Gebehrden, welche mich bei einigen Mitſchuͤlern abſtießen. Die erſte maͤnnliche Kleidung, welche ich er¬ hielt, war gruͤn, da meine Mutter aus der Schuͤtzenkleidung des Vaters eine Zwillingstracht fuͤr mich ſchneiden ließ, fuͤr den Sonntag einen Anzug und fuͤr die Werktage einen. Auch faſt alle nachgelaſſenen buͤrgerlichen Gewaͤnder waren von gruͤner Farbe; bis zu meinem zwoͤlften Jahre aber reichte der Nachlaß zur Herſtellung von gruͤnen Jacken und Roͤcklein aus, bei der großen Strenge und Aufmerkſamkeit der Mutter fuͤr Schonung und Reinhaltung der Kleider, ſo daß ich von der unveraͤnderlichen Farbe ſchon fruͤh den Namen »gruͤner Heinreich« erhielt und in unſerm Staͤdtchen bis auf den heutigen Tag trug. Als ſolcher machte ich in der Schule und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 231. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/245>, abgerufen am 22.11.2024.