schaften mit dem religiösen Gebahren im Wider¬ spruche sein könnten, und sie zeichnete sich vor ihren Glaubensschwestern darin aus, daß sie nie¬ mals dem Ausdrucke dessen, was sie bewegte, einen Zügel anlegte. Sie liebte und haßte, segnete und verwünschte und gab sich unverhüllt und ungehemmt allen Regungen ihres Gemüthes hin, ohne je an eine eigene mögliche Schuld zu denken und sich unbefangener Weise stets auf Gott und seinen mächtigen Einfluß berufend.
Jede der Ehehälften hatte eine zahlreiche Ver¬ wandtschaft blutarmer Leute, welche im Lande zerstreut wohnten. Diese theilten unter sich die Hoffnung auf das gewichtige Erbe um so mehr, als Frau Margreth, zufolge ihrer hartnäckigen Abneigung gegen unverbesserlich arm Bleibende, ihnen nur spärliche Gaben von ihrem Ueberflusse zukommen ließ und sie nur an Feiertagen gast¬ lich speiste und tränkte. Alsdann erschienen von beiden Seiten her die alten Vettern und Basen, Schwestern und Schwäger mit ausgehungerten langnasigen Töchtern und bleichen Söhnen, und trugen Säcklein und Körbe herbei, welche die
ſchaften mit dem religioͤſen Gebahren im Wider¬ ſpruche ſein koͤnnten, und ſie zeichnete ſich vor ihren Glaubensſchweſtern darin aus, daß ſie nie¬ mals dem Ausdrucke deſſen, was ſie bewegte, einen Zuͤgel anlegte. Sie liebte und haßte, ſegnete und verwuͤnſchte und gab ſich unverhuͤllt und ungehemmt allen Regungen ihres Gemuͤthes hin, ohne je an eine eigene moͤgliche Schuld zu denken und ſich unbefangener Weiſe ſtets auf Gott und ſeinen maͤchtigen Einfluß berufend.
Jede der Ehehaͤlften hatte eine zahlreiche Ver¬ wandtſchaft blutarmer Leute, welche im Lande zerſtreut wohnten. Dieſe theilten unter ſich die Hoffnung auf das gewichtige Erbe um ſo mehr, als Frau Margreth, zufolge ihrer hartnaͤckigen Abneigung gegen unverbeſſerlich arm Bleibende, ihnen nur ſpaͤrliche Gaben von ihrem Ueberfluſſe zukommen ließ und ſie nur an Feiertagen gaſt¬ lich ſpeiſte und traͤnkte. Alsdann erſchienen von beiden Seiten her die alten Vettern und Baſen, Schweſtern und Schwaͤger mit ausgehungerten langnaſigen Toͤchtern und bleichen Soͤhnen, und trugen Saͤcklein und Koͤrbe herbei, welche die
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ſchaften mit dem religioͤſen Gebahren im Wider¬
ſpruche ſein koͤnnten, und ſie zeichnete ſich vor
ihren Glaubensſchweſtern darin aus, daß ſie nie¬
mals dem Ausdrucke deſſen, was ſie bewegte,
einen Zuͤgel anlegte. Sie liebte und haßte,
ſegnete und verwuͤnſchte und gab ſich unverhuͤllt
und ungehemmt allen Regungen ihres Gemuͤthes
hin, ohne je an eine eigene moͤgliche Schuld zu
denken und ſich unbefangener Weiſe ſtets auf
Gott und ſeinen maͤchtigen Einfluß berufend.
Jede der Ehehaͤlften hatte eine zahlreiche Ver¬
wandtſchaft blutarmer Leute, welche im Lande
zerſtreut wohnten. Dieſe theilten unter ſich die
Hoffnung auf das gewichtige Erbe um ſo mehr,
als Frau Margreth, zufolge ihrer hartnaͤckigen
Abneigung gegen unverbeſſerlich arm Bleibende,
ihnen nur ſpaͤrliche Gaben von ihrem Ueberfluſſe
zukommen ließ und ſie nur an Feiertagen gaſt¬
lich ſpeiſte und traͤnkte. Alsdann erſchienen von
beiden Seiten her die alten Vettern und Baſen,
Schweſtern und Schwaͤger mit ausgehungerten
langnaſigen Toͤchtern und bleichen Soͤhnen, und
trugen Saͤcklein und Koͤrbe herbei, welche die
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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 211. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/225>, abgerufen am 22.11.2024.
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