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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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erhebt, liegt die Stadt hingegossen, fast von sei¬
nem Scheitel bis in das Wasser herunter, daß
ihr steinerner Fuß sich noch in die spülende Fluth
hineintaucht. Vom diesseitigen Berge aber, wel¬
cher aus schroffen waldbewachsenen Felsen besteht,
kann man in die Stadt hinein und hinüber
schauen, wie in einen offenen Raritätenschrein, so
daß die kleinen fernen Menschen, die in den stei¬
len alten Gassen herumklimmen, sich kaum vor
unserm Auge verbergen können, indem sie sich
in ein Quergäßchen flüchten oder in einem Hause
verschwinden. Es ist eine seltsame Stadt, mit
einem altergrauen Haupte und neuen glänzenden
Füßen. Denn der Verkehr und das thätige Le¬
ben haben unten am Ufer, wo die befrachteten
Schiffe ab- und zugehen, nichts Altes und Unbe¬
quemes gelassen und die Steinmasse fortwährend
erneuert, während das Alter sich am Berge hin¬
aufflüchtete, mitten an demselben, auf einem plat¬
ten Vorsprunge in der kühlen byzantinischen
Stadtkirche ausruhte und oben zuletzt auf der
halbzerfallenen Burg stehen blieb. Seinen inni¬
gen Zusammenhang mit dem gegenwärtigen Leben

erhebt, liegt die Stadt hingegoſſen, faſt von ſei¬
nem Scheitel bis in das Waſſer herunter, daß
ihr ſteinerner Fuß ſich noch in die ſpuͤlende Fluth
hineintaucht. Vom diesſeitigen Berge aber, wel¬
cher aus ſchroffen waldbewachſenen Felſen beſteht,
kann man in die Stadt hinein und hinuͤber
ſchauen, wie in einen offenen Raritaͤtenſchrein, ſo
daß die kleinen fernen Menſchen, die in den ſtei¬
len alten Gaſſen herumklimmen, ſich kaum vor
unſerm Auge verbergen koͤnnen, indem ſie ſich
in ein Quergaͤßchen fluͤchten oder in einem Hauſe
verſchwinden. Es iſt eine ſeltſame Stadt, mit
einem altergrauen Haupte und neuen glaͤnzenden
Fuͤßen. Denn der Verkehr und das thaͤtige Le¬
ben haben unten am Ufer, wo die befrachteten
Schiffe ab- und zugehen, nichts Altes und Unbe¬
quemes gelaſſen und die Steinmaſſe fortwaͤhrend
erneuert, waͤhrend das Alter ſich am Berge hin¬
auffluͤchtete, mitten an demſelben, auf einem plat¬
ten Vorſprunge in der kuͤhlen byzantiniſchen
Stadtkirche ausruhte und oben zuletzt auf der
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[7/0021] erhebt, liegt die Stadt hingegoſſen, faſt von ſei¬ nem Scheitel bis in das Waſſer herunter, daß ihr ſteinerner Fuß ſich noch in die ſpuͤlende Fluth hineintaucht. Vom diesſeitigen Berge aber, wel¬ cher aus ſchroffen waldbewachſenen Felſen beſteht, kann man in die Stadt hinein und hinuͤber ſchauen, wie in einen offenen Raritaͤtenſchrein, ſo daß die kleinen fernen Menſchen, die in den ſtei¬ len alten Gaſſen herumklimmen, ſich kaum vor unſerm Auge verbergen koͤnnen, indem ſie ſich in ein Quergaͤßchen fluͤchten oder in einem Hauſe verſchwinden. Es iſt eine ſeltſame Stadt, mit einem altergrauen Haupte und neuen glaͤnzenden Fuͤßen. Denn der Verkehr und das thaͤtige Le¬ ben haben unten am Ufer, wo die befrachteten Schiffe ab- und zugehen, nichts Altes und Unbe¬ quemes gelaſſen und die Steinmaſſe fortwaͤhrend erneuert, waͤhrend das Alter ſich am Berge hin¬ auffluͤchtete, mitten an demſelben, auf einem plat¬ ten Vorſprunge in der kuͤhlen byzantiniſchen Stadtkirche ausruhte und oben zuletzt auf der halbzerfallenen Burg ſtehen blieb. Seinen inni¬ gen Zuſammenhang mit dem gegenwaͤrtigen Leben

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 7. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/21>, abgerufen am 28.03.2024.