Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

Bild:
<< vorherige Seite

den Geschäftsverkehr begründete, und wenn eine
überflüssige Summe Geldes bei einander war, so
wechselte sie dieses sogleich in Gold um und ver¬
wahrte dasselbe in ihrer Schatztruhe, wo es für
immer liegen blieb, wenn nicht ein Theil davon
für eine besondere Unternehmung oder für ein aus¬
nahmsweises Darlehen herausgenommen wurde,
da sie sonst auf Zinsen kein Geld auslieh. Sie
hatte besonders mit Landleuten von allen Seiten
her Verkehr, welche sich ihre geräthschaftlichen
Bedürfnisse bei ihr holten, und gab ihre Waaren
Jedermann auf Borg, gewann oft viel dabei und
verlor auch oft. So kam es, daß eine Menge
von Leuten von ihr abhängig waren oder in
einem verbindlichen oder feindlichen Verhältnisse
zu ihr standen, und daß sie beständig von Nach¬
sichtsuchenden oder Bezahlenden umlagert war,
welche ihr, zur Beherzigung oder als Dank, die
mannigfaltigsten Gaben darbrachten, nicht an¬
ders, als einem alten Landpfleger oder einer
reichen Aebtissin. Feld- und Baumfrüchte jeder
Art, Milch, Honig, Trauben, Schinken und
Würste wurden ihr in gewichtigen Körben zuge¬

12 *

den Geſchaͤftsverkehr begruͤndete, und wenn eine
uͤberfluͤſſige Summe Geldes bei einander war, ſo
wechſelte ſie dieſes ſogleich in Gold um und ver¬
wahrte daſſelbe in ihrer Schatztruhe, wo es fuͤr
immer liegen blieb, wenn nicht ein Theil davon
fuͤr eine beſondere Unternehmung oder fuͤr ein aus¬
nahmsweiſes Darlehen herausgenommen wurde,
da ſie ſonſt auf Zinſen kein Geld auslieh. Sie
hatte beſonders mit Landleuten von allen Seiten
her Verkehr, welche ſich ihre geraͤthſchaftlichen
Beduͤrfniſſe bei ihr holten, und gab ihre Waaren
Jedermann auf Borg, gewann oft viel dabei und
verlor auch oft. So kam es, daß eine Menge
von Leuten von ihr abhaͤngig waren oder in
einem verbindlichen oder feindlichen Verhaͤltniſſe
zu ihr ſtanden, und daß ſie beſtaͤndig von Nach¬
ſichtſuchenden oder Bezahlenden umlagert war,
welche ihr, zur Beherzigung oder als Dank, die
mannigfaltigſten Gaben darbrachten, nicht an¬
ders, als einem alten Landpfleger oder einer
reichen Aebtiſſin. Feld- und Baumfruͤchte jeder
Art, Milch, Honig, Trauben, Schinken und
Wuͤrſte wurden ihr in gewichtigen Koͤrben zuge¬

12 *
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0193" n="179"/>
den Ge&#x017F;cha&#x0364;ftsverkehr begru&#x0364;ndete, und wenn eine<lb/>
u&#x0364;berflu&#x0364;&#x017F;&#x017F;ige Summe Geldes bei einander war, &#x017F;o<lb/>
wech&#x017F;elte &#x017F;ie die&#x017F;es &#x017F;ogleich in Gold um und ver¬<lb/>
wahrte da&#x017F;&#x017F;elbe in ihrer Schatztruhe, wo es fu&#x0364;r<lb/>
immer liegen blieb, wenn nicht ein Theil davon<lb/>
fu&#x0364;r eine be&#x017F;ondere Unternehmung oder fu&#x0364;r ein aus¬<lb/>
nahmswei&#x017F;es Darlehen herausgenommen wurde,<lb/>
da &#x017F;ie &#x017F;on&#x017F;t auf Zin&#x017F;en kein Geld auslieh. Sie<lb/>
hatte be&#x017F;onders mit Landleuten von allen Seiten<lb/>
her Verkehr, welche &#x017F;ich ihre gera&#x0364;th&#x017F;chaftlichen<lb/>
Bedu&#x0364;rfni&#x017F;&#x017F;e bei ihr holten, und gab ihre Waaren<lb/>
Jedermann auf Borg, gewann oft viel dabei und<lb/>
verlor auch oft. So kam es, daß eine Menge<lb/>
von Leuten von ihr abha&#x0364;ngig waren oder in<lb/>
einem verbindlichen oder feindlichen Verha&#x0364;ltni&#x017F;&#x017F;e<lb/>
zu ihr &#x017F;tanden, und daß &#x017F;ie be&#x017F;ta&#x0364;ndig von Nach¬<lb/>
&#x017F;icht&#x017F;uchenden oder Bezahlenden umlagert war,<lb/>
welche ihr, zur Beherzigung oder als Dank, die<lb/>
mannigfaltig&#x017F;ten Gaben darbrachten, nicht an¬<lb/>
ders, als einem alten Landpfleger oder einer<lb/>
reichen Aebti&#x017F;&#x017F;in. Feld- und Baumfru&#x0364;chte jeder<lb/>
Art, Milch, Honig, Trauben, Schinken und<lb/>
Wu&#x0364;r&#x017F;te wurden ihr in gewichtigen Ko&#x0364;rben zuge¬<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">12 *<lb/></fw>
</p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[179/0193] den Geſchaͤftsverkehr begruͤndete, und wenn eine uͤberfluͤſſige Summe Geldes bei einander war, ſo wechſelte ſie dieſes ſogleich in Gold um und ver¬ wahrte daſſelbe in ihrer Schatztruhe, wo es fuͤr immer liegen blieb, wenn nicht ein Theil davon fuͤr eine beſondere Unternehmung oder fuͤr ein aus¬ nahmsweiſes Darlehen herausgenommen wurde, da ſie ſonſt auf Zinſen kein Geld auslieh. Sie hatte beſonders mit Landleuten von allen Seiten her Verkehr, welche ſich ihre geraͤthſchaftlichen Beduͤrfniſſe bei ihr holten, und gab ihre Waaren Jedermann auf Borg, gewann oft viel dabei und verlor auch oft. So kam es, daß eine Menge von Leuten von ihr abhaͤngig waren oder in einem verbindlichen oder feindlichen Verhaͤltniſſe zu ihr ſtanden, und daß ſie beſtaͤndig von Nach¬ ſichtſuchenden oder Bezahlenden umlagert war, welche ihr, zur Beherzigung oder als Dank, die mannigfaltigſten Gaben darbrachten, nicht an¬ ders, als einem alten Landpfleger oder einer reichen Aebtiſſin. Feld- und Baumfruͤchte jeder Art, Milch, Honig, Trauben, Schinken und Wuͤrſte wurden ihr in gewichtigen Koͤrben zuge¬ 12 *

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
TCF (tokenisiert, serialisiert, lemmatisiert, normalisiert)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/193
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 179. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/193>, abgerufen am 04.05.2024.