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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Kampfe nicht mehr widerstehen konnte und im
vollen Bewußtsein der Blasphemie eines jener
Worte hastig ausstieß, mit der unmittelbaren Ver¬
sicherung, daß es nicht gelten solle und mit der
Bitte um Verzeihung; dann konnte ich nicht um¬
hin, es noch einmal zu wiederholen, wie auch die
reuevolle Genugthuung, und so fort, bis die selt¬
same Aufregung vorüber war. Vorzüglich vor
dem Einschlafen pflegte mich diese Erscheinung zu
quälen, obgleich sie nachher keine Unruhe oder
Uneinigkeit in mir zurückließ. Ich habe später
gedacht, daß es wohl ein unbewußtes Experiment
mit der Allgegenwart Gottes gewesen sei, welche
ebenfalls anfing, mich zu beschäftigen, und daß
schon damals das dunkle Gefühl in mir lebendig
gewesen sei: Vor Gott könne keine Minute un¬
seres inneren Lebens verborgen und wirklich straf¬
bar sein, so fern er das lebendige Wesen für uns
sei, für das wir ihn halten.

Indessen hatte ich eine Freundschaft geschlos¬
sen, welche meiner suchenden Phantasie zu Hülfe
kam und mich von diesen unfruchtbaren Quäle¬
reien erlöste, indem sie, bei der Einfachheit und

Kampfe nicht mehr widerſtehen konnte und im
vollen Bewußtſein der Blasphemie eines jener
Worte haſtig ausſtieß, mit der unmittelbaren Ver¬
ſicherung, daß es nicht gelten ſolle und mit der
Bitte um Verzeihung; dann konnte ich nicht um¬
hin, es noch einmal zu wiederholen, wie auch die
reuevolle Genugthuung, und ſo fort, bis die ſelt¬
ſame Aufregung voruͤber war. Vorzuͤglich vor
dem Einſchlafen pflegte mich dieſe Erſcheinung zu
quaͤlen, obgleich ſie nachher keine Unruhe oder
Uneinigkeit in mir zuruͤckließ. Ich habe ſpaͤter
gedacht, daß es wohl ein unbewußtes Experiment
mit der Allgegenwart Gottes geweſen ſei, welche
ebenfalls anfing, mich zu beſchaͤftigen, und daß
ſchon damals das dunkle Gefuͤhl in mir lebendig
geweſen ſei: Vor Gott koͤnne keine Minute un¬
ſeres inneren Lebens verborgen und wirklich ſtraf¬
bar ſein, ſo fern er das lebendige Weſen fuͤr uns
ſei, fuͤr das wir ihn halten.

Indeſſen hatte ich eine Freundſchaft geſchloſ¬
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[174/0188] Kampfe nicht mehr widerſtehen konnte und im vollen Bewußtſein der Blasphemie eines jener Worte haſtig ausſtieß, mit der unmittelbaren Ver¬ ſicherung, daß es nicht gelten ſolle und mit der Bitte um Verzeihung; dann konnte ich nicht um¬ hin, es noch einmal zu wiederholen, wie auch die reuevolle Genugthuung, und ſo fort, bis die ſelt¬ ſame Aufregung voruͤber war. Vorzuͤglich vor dem Einſchlafen pflegte mich dieſe Erſcheinung zu quaͤlen, obgleich ſie nachher keine Unruhe oder Uneinigkeit in mir zuruͤckließ. Ich habe ſpaͤter gedacht, daß es wohl ein unbewußtes Experiment mit der Allgegenwart Gottes geweſen ſei, welche ebenfalls anfing, mich zu beſchaͤftigen, und daß ſchon damals das dunkle Gefuͤhl in mir lebendig geweſen ſei: Vor Gott koͤnne keine Minute un¬ ſeres inneren Lebens verborgen und wirklich ſtraf¬ bar ſein, ſo fern er das lebendige Weſen fuͤr uns ſei, fuͤr das wir ihn halten. Indeſſen hatte ich eine Freundſchaft geſchloſ¬ ſen, welche meiner ſuchenden Phantaſie zu Huͤlfe kam und mich von dieſen unfruchtbaren Quaͤle¬ reien erloͤſte, indem ſie, bei der Einfachheit und

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 174. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/188>, abgerufen am 05.05.2024.