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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Aus dem pfeilschnell vorübergeflossenen Gemählde
haben sich jedoch zwei Bilder der Vergangenheit
am deutlichsten dem Sinne eingeprägt: rechts
schaute vom Münsterthurme das sitzende riesige
Steinbild Karls des Großen, eine goldene Krone
auf dem Lockenhaupt, das goldene Schwert auf
den Knieen, über Strom und See hin; links
ragte auf steilem Hügel, thurmhoch über dem
Flusse, ein uralter Lindenhain, wie ein schweben¬
der Garten und in den schönsten Formen, grün
in den Himmel. Kinder sah man in der Höhe
unter seinen Laubgewölben spielen und über die
Brustwehr herabschauen. Aber schon fährt man
wieder zwischen reizenden Landhäusern und Ge¬
werben, zwischen Dörfern und Weinbergen dahin,
die Obstbäume hangen in's Wasser, zwischen ihren
Stämmen sind Fischernetze aufgespannt. Voll
und schnell fließt der Strom, und indem man
unversehens noch ein Mal zurückschaut, erblickt
man im Süden die weite schneereine Alpenkette
wie einen Lilienkranz auf einem grünen Teppich
liegen. Jetzt lauscht ein stilles Frauenkloster hin¬
ter Uferweiden hervor, und da nun gar eine

Aus dem pfeilſchnell voruͤbergefloſſenen Gemaͤhlde
haben ſich jedoch zwei Bilder der Vergangenheit
am deutlichſten dem Sinne eingepraͤgt: rechts
ſchaute vom Muͤnſterthurme das ſitzende rieſige
Steinbild Karls des Großen, eine goldene Krone
auf dem Lockenhaupt, das goldene Schwert auf
den Knieen, uͤber Strom und See hin; links
ragte auf ſteilem Huͤgel, thurmhoch uͤber dem
Fluſſe, ein uralter Lindenhain, wie ein ſchweben¬
der Garten und in den ſchoͤnſten Formen, gruͤn
in den Himmel. Kinder ſah man in der Hoͤhe
unter ſeinen Laubgewoͤlben ſpielen und uͤber die
Bruſtwehr herabſchauen. Aber ſchon faͤhrt man
wieder zwiſchen reizenden Landhaͤuſern und Ge¬
werben, zwiſchen Doͤrfern und Weinbergen dahin,
die Obſtbaͤume hangen in's Waſſer, zwiſchen ihren
Staͤmmen ſind Fiſchernetze aufgeſpannt. Voll
und ſchnell fließt der Strom, und indem man
unverſehens noch ein Mal zuruͤckſchaut, erblickt
man im Suͤden die weite ſchneereine Alpenkette
wie einen Lilienkranz auf einem gruͤnen Teppich
liegen. Jetzt lauſcht ein ſtilles Frauenkloſter hin¬
ter Uferweiden hervor, und da nun gar eine

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[4/0018] Aus dem pfeilſchnell voruͤbergefloſſenen Gemaͤhlde haben ſich jedoch zwei Bilder der Vergangenheit am deutlichſten dem Sinne eingepraͤgt: rechts ſchaute vom Muͤnſterthurme das ſitzende rieſige Steinbild Karls des Großen, eine goldene Krone auf dem Lockenhaupt, das goldene Schwert auf den Knieen, uͤber Strom und See hin; links ragte auf ſteilem Huͤgel, thurmhoch uͤber dem Fluſſe, ein uralter Lindenhain, wie ein ſchweben¬ der Garten und in den ſchoͤnſten Formen, gruͤn in den Himmel. Kinder ſah man in der Hoͤhe unter ſeinen Laubgewoͤlben ſpielen und uͤber die Bruſtwehr herabſchauen. Aber ſchon faͤhrt man wieder zwiſchen reizenden Landhaͤuſern und Ge¬ werben, zwiſchen Doͤrfern und Weinbergen dahin, die Obſtbaͤume hangen in's Waſſer, zwiſchen ihren Staͤmmen ſind Fiſchernetze aufgeſpannt. Voll und ſchnell fließt der Strom, und indem man unverſehens noch ein Mal zuruͤckſchaut, erblickt man im Suͤden die weite ſchneereine Alpenkette wie einen Lilienkranz auf einem gruͤnen Teppich liegen. Jetzt lauſcht ein ſtilles Frauenkloſter hin¬ ter Uferweiden hervor, und da nun gar eine

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 4. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/18>, abgerufen am 29.03.2024.