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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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überzeugt, wie sich aus wiederholten Fällen er¬
gab, daß ich gefährliche Anlagen zeige. Er sagte
auch sehr bedeutsam beim Abschiede, daß stille
Wasser gewöhnlich tief wären. Dieses Wort habe
ich seither in meinem Leben öfter hören müssen
und es hat mich immer gekränkt, weil es keinen
größeren Plauderer gibt, als mich, wenn ich mit
Jemand zutraulich bin. Ich habe aber bemerkt,
daß viele Menschen, welche immer das große
Wort führen, aus denen nie klug werden, welche
ihretwegen nie zu Worte kommen. Sie pflegen
dann plötzlich einmal sich über das Schweigen
zu verwundern und zur Theilnahme aufzufordern;
ehe aber diese laut werden kann, haben sie schon
wieder das Wort genommen und auf ein anderes
Gebiet geführt, und wenn sie einmal einer Ant¬
wort Raum geben, so verstehen sie die einfache
und kurze Logik nicht, an welche sich der Schwei¬
gende bei seinem Zuhören gewöhnt hat. Die
meisten Gesellschaften lassen in ihrem Gespräche
nicht so viel Raum für ein einzuschaltendes Wort,
daß man mit einer Nähnadel dazwischen stechen
könnte. Es gibt keinen Menschen, welcher nicht

uͤberzeugt, wie ſich aus wiederholten Faͤllen er¬
gab, daß ich gefaͤhrliche Anlagen zeige. Er ſagte
auch ſehr bedeutſam beim Abſchiede, daß ſtille
Waſſer gewoͤhnlich tief waͤren. Dieſes Wort habe
ich ſeither in meinem Leben oͤfter hoͤren muͤſſen
und es hat mich immer gekraͤnkt, weil es keinen
groͤßeren Plauderer gibt, als mich, wenn ich mit
Jemand zutraulich bin. Ich habe aber bemerkt,
daß viele Menſchen, welche immer das große
Wort fuͤhren, aus denen nie klug werden, welche
ihretwegen nie zu Worte kommen. Sie pflegen
dann ploͤtzlich einmal ſich uͤber das Schweigen
zu verwundern und zur Theilnahme aufzufordern;
ehe aber dieſe laut werden kann, haben ſie ſchon
wieder das Wort genommen und auf ein anderes
Gebiet gefuͤhrt, und wenn ſie einmal einer Ant¬
wort Raum geben, ſo verſtehen ſie die einfache
und kurze Logik nicht, an welche ſich der Schwei¬
gende bei ſeinem Zuhoͤren gewoͤhnt hat. Die
meiſten Geſellſchaften laſſen in ihrem Geſpraͤche
nicht ſo viel Raum fuͤr ein einzuſchaltendes Wort,
daß man mit einer Naͤhnadel dazwiſchen ſtechen
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[138/0152] uͤberzeugt, wie ſich aus wiederholten Faͤllen er¬ gab, daß ich gefaͤhrliche Anlagen zeige. Er ſagte auch ſehr bedeutſam beim Abſchiede, daß ſtille Waſſer gewoͤhnlich tief waͤren. Dieſes Wort habe ich ſeither in meinem Leben oͤfter hoͤren muͤſſen und es hat mich immer gekraͤnkt, weil es keinen groͤßeren Plauderer gibt, als mich, wenn ich mit Jemand zutraulich bin. Ich habe aber bemerkt, daß viele Menſchen, welche immer das große Wort fuͤhren, aus denen nie klug werden, welche ihretwegen nie zu Worte kommen. Sie pflegen dann ploͤtzlich einmal ſich uͤber das Schweigen zu verwundern und zur Theilnahme aufzufordern; ehe aber dieſe laut werden kann, haben ſie ſchon wieder das Wort genommen und auf ein anderes Gebiet gefuͤhrt, und wenn ſie einmal einer Ant¬ wort Raum geben, ſo verſtehen ſie die einfache und kurze Logik nicht, an welche ſich der Schwei¬ gende bei ſeinem Zuhoͤren gewoͤhnt hat. Die meiſten Geſellſchaften laſſen in ihrem Geſpraͤche nicht ſo viel Raum fuͤr ein einzuſchaltendes Wort, daß man mit einer Naͤhnadel dazwiſchen ſtechen koͤnnte. Es gibt keinen Menſchen, welcher nicht

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 138. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/152>, abgerufen am 04.05.2024.