Meinung darüber äußerte. Es waren ganz in¬ nerliche Anschauungen, und nur wenn der Name Gottes genannt wurde, so schwebte mir erst der glänzende Vogel und nachher der schöne Tiger vor. Allmälig mischte sich zwar nicht ein klare¬ res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬ danken. Ich betete mein Vaterunser, dessen voll¬ endet schöne Eintheilung und Abrundung mir das Einprägen leicht und das Wiederholen zu einer angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer Meisterschaft und vielen Variationen, indem ich diesen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬ sprach oder nach raschem und leisem Hersagen eines Satzes den folgenden langsam und laut be¬ tonte und dann rückwärts betete und mit den Anfangsworten Vater unser schloß. Aus diesem Gebete hatte sich eine Ahnung in mir niederge¬ schlagen, daß Gott ein Wesen sein müsse, mit welchem sich allenfalls ein vernünftiges Wort sprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergestalten.
So lebte ich in einem unschuldig vergnüglichen Verhältnisse mit dem höchsten Wesen, ich kannte keine Bedürfnisse und keine Dankbarkeit, kein
Meinung daruͤber aͤußerte. Es waren ganz in¬ nerliche Anſchauungen, und nur wenn der Name Gottes genannt wurde, ſo ſchwebte mir erſt der glaͤnzende Vogel und nachher der ſchoͤne Tiger vor. Allmaͤlig miſchte ſich zwar nicht ein klare¬ res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬ danken. Ich betete mein Vaterunſer, deſſen voll¬ endet ſchoͤne Eintheilung und Abrundung mir das Einpraͤgen leicht und das Wiederholen zu einer angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer Meiſterſchaft und vielen Variationen, indem ich dieſen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬ ſprach oder nach raſchem und leiſem Herſagen eines Satzes den folgenden langſam und laut be¬ tonte und dann ruͤckwaͤrts betete und mit den Anfangsworten Vater unſer ſchloß. Aus dieſem Gebete hatte ſich eine Ahnung in mir niederge¬ ſchlagen, daß Gott ein Weſen ſein muͤſſe, mit welchem ſich allenfalls ein vernuͤnftiges Wort ſprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergeſtalten.
So lebte ich in einem unſchuldig vergnuͤglichen Verhaͤltniſſe mit dem hoͤchſten Weſen, ich kannte keine Beduͤrfniſſe und keine Dankbarkeit, kein
<TEI><text><body><divn="1"><p><pbfacs="#f0147"n="133"/>
Meinung daruͤber aͤußerte. Es waren ganz in¬<lb/>
nerliche Anſchauungen, und nur wenn der Name<lb/>
Gottes genannt wurde, ſo ſchwebte mir erſt der<lb/>
glaͤnzende Vogel und nachher der ſchoͤne Tiger<lb/>
vor. Allmaͤlig miſchte ſich zwar nicht ein klare¬<lb/>
res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬<lb/>
danken. Ich betete mein Vaterunſer, deſſen voll¬<lb/>
endet ſchoͤne Eintheilung und Abrundung mir das<lb/>
Einpraͤgen leicht und das Wiederholen zu einer<lb/>
angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer<lb/>
Meiſterſchaft und vielen Variationen, indem ich<lb/>
dieſen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬<lb/>ſprach oder nach raſchem und leiſem Herſagen<lb/>
eines Satzes den folgenden langſam und laut be¬<lb/>
tonte und dann ruͤckwaͤrts betete und mit den<lb/>
Anfangsworten Vater unſer ſchloß. Aus dieſem<lb/>
Gebete hatte ſich eine Ahnung in mir niederge¬<lb/>ſchlagen, daß Gott ein Weſen ſein muͤſſe, mit<lb/>
welchem ſich allenfalls ein vernuͤnftiges Wort<lb/>ſprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergeſtalten.<lb/></p><p>So lebte ich in einem unſchuldig vergnuͤglichen<lb/>
Verhaͤltniſſe mit dem hoͤchſten Weſen, ich kannte<lb/>
keine Beduͤrfniſſe und keine Dankbarkeit, kein<lb/></p></div></body></text></TEI>
[133/0147]
Meinung daruͤber aͤußerte. Es waren ganz in¬
nerliche Anſchauungen, und nur wenn der Name
Gottes genannt wurde, ſo ſchwebte mir erſt der
glaͤnzende Vogel und nachher der ſchoͤne Tiger
vor. Allmaͤlig miſchte ſich zwar nicht ein klare¬
res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬
danken. Ich betete mein Vaterunſer, deſſen voll¬
endet ſchoͤne Eintheilung und Abrundung mir das
Einpraͤgen leicht und das Wiederholen zu einer
angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer
Meiſterſchaft und vielen Variationen, indem ich
dieſen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬
ſprach oder nach raſchem und leiſem Herſagen
eines Satzes den folgenden langſam und laut be¬
tonte und dann ruͤckwaͤrts betete und mit den
Anfangsworten Vater unſer ſchloß. Aus dieſem
Gebete hatte ſich eine Ahnung in mir niederge¬
ſchlagen, daß Gott ein Weſen ſein muͤſſe, mit
welchem ſich allenfalls ein vernuͤnftiges Wort
ſprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergeſtalten.
So lebte ich in einem unſchuldig vergnuͤglichen
Verhaͤltniſſe mit dem hoͤchſten Weſen, ich kannte
keine Beduͤrfniſſe und keine Dankbarkeit, kein
Informationen zur CAB-Ansicht
Diese Ansicht bietet Ihnen die Darstellung des Textes in normalisierter Orthographie.
Diese Textvariante wird vollautomatisch erstellt und kann aufgrund dessen auch Fehler enthalten.
Alle veränderten Wortformen sind grau hinterlegt. Als fremdsprachliches Material erkannte
Textteile sind ausgegraut dargestellt.
Sie haben einen Fehler gefunden?
Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform
DTAQ melden.
Kommentar zur DTA-Ausgabe
Dieses Werk wurde von OCR-Software automatisch erfasst und anschließend
gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien
von Muttersprachlern nachkontrolliert. Es wurde gemäß dem
DTA-Basisformat in XML/TEI P5 kodiert.
Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/147>, abgerufen am 24.11.2024.
Alle Inhalte dieser Seite unterstehen, soweit nicht anders gekennzeichnet, einer
Creative-Commons-Lizenz.
Die Rechte an den angezeigten Bilddigitalisaten, soweit nicht anders gekennzeichnet, liegen bei den besitzenden Bibliotheken.
Weitere Informationen finden Sie in den DTA-Nutzungsbedingungen.
Insbesondere im Hinblick auf die §§ 86a StGB und 130 StGB wird festgestellt, dass die auf
diesen Seiten abgebildeten Inhalte weder in irgendeiner Form propagandistischen Zwecken
dienen, oder Werbung für verbotene Organisationen oder Vereinigungen darstellen, oder
nationalsozialistische Verbrechen leugnen oder verharmlosen, noch zum Zwecke der
Herabwürdigung der Menschenwürde gezeigt werden.
Die auf diesen Seiten abgebildeten Inhalte (in Wort und Bild) dienen im Sinne des
§ 86 StGB Abs. 3 ausschließlich historischen, sozial- oder kulturwissenschaftlichen
Forschungszwecken. Ihre Veröffentlichung erfolgt in der Absicht, Wissen zur Anregung
der intellektuellen Selbstständigkeit und Verantwortungsbereitschaft des Staatsbürgers zu
vermitteln und damit der Förderung seiner Mündigkeit zu dienen.
Zitierempfehlung: Deutsches Textarchiv. Grundlage für ein Referenzkorpus der neuhochdeutschen Sprache. Herausgegeben von der Berlin-Brandenburgischen Akademie der Wissenschaften, Berlin 2024. URL: https://www.deutschestextarchiv.de/.