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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Meinung darüber äußerte. Es waren ganz in¬
nerliche Anschauungen, und nur wenn der Name
Gottes genannt wurde, so schwebte mir erst der
glänzende Vogel und nachher der schöne Tiger
vor. Allmälig mischte sich zwar nicht ein klare¬
res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬
danken. Ich betete mein Vaterunser, dessen voll¬
endet schöne Eintheilung und Abrundung mir das
Einprägen leicht und das Wiederholen zu einer
angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer
Meisterschaft und vielen Variationen, indem ich
diesen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬
sprach oder nach raschem und leisem Hersagen
eines Satzes den folgenden langsam und laut be¬
tonte und dann rückwärts betete und mit den
Anfangsworten Vater unser schloß. Aus diesem
Gebete hatte sich eine Ahnung in mir niederge¬
schlagen, daß Gott ein Wesen sein müsse, mit
welchem sich allenfalls ein vernünftiges Wort
sprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergestalten.

So lebte ich in einem unschuldig vergnüglichen
Verhältnisse mit dem höchsten Wesen, ich kannte
keine Bedürfnisse und keine Dankbarkeit, kein

Meinung daruͤber aͤußerte. Es waren ganz in¬
nerliche Anſchauungen, und nur wenn der Name
Gottes genannt wurde, ſo ſchwebte mir erſt der
glaͤnzende Vogel und nachher der ſchoͤne Tiger
vor. Allmaͤlig miſchte ſich zwar nicht ein klare¬
res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬
danken. Ich betete mein Vaterunſer, deſſen voll¬
endet ſchoͤne Eintheilung und Abrundung mir das
Einpraͤgen leicht und das Wiederholen zu einer
angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer
Meiſterſchaft und vielen Variationen, indem ich
dieſen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬
ſprach oder nach raſchem und leiſem Herſagen
eines Satzes den folgenden langſam und laut be¬
tonte und dann ruͤckwaͤrts betete und mit den
Anfangsworten Vater unſer ſchloß. Aus dieſem
Gebete hatte ſich eine Ahnung in mir niederge¬
ſchlagen, daß Gott ein Weſen ſein muͤſſe, mit
welchem ſich allenfalls ein vernuͤnftiges Wort
ſprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergeſtalten.

So lebte ich in einem unſchuldig vergnuͤglichen
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[133/0147] Meinung daruͤber aͤußerte. Es waren ganz in¬ nerliche Anſchauungen, und nur wenn der Name Gottes genannt wurde, ſo ſchwebte mir erſt der glaͤnzende Vogel und nachher der ſchoͤne Tiger vor. Allmaͤlig miſchte ſich zwar nicht ein klare¬ res Bild, aber ein edlerer Begriff in meine Ge¬ danken. Ich betete mein Vaterunſer, deſſen voll¬ endet ſchoͤne Eintheilung und Abrundung mir das Einpraͤgen leicht und das Wiederholen zu einer angenehmen Uebung gemacht hatte, mit großer Meiſterſchaft und vielen Variationen, indem ich dieſen oder jenen Theil doppelt und dreifach aus¬ ſprach oder nach raſchem und leiſem Herſagen eines Satzes den folgenden langſam und laut be¬ tonte und dann ruͤckwaͤrts betete und mit den Anfangsworten Vater unſer ſchloß. Aus dieſem Gebete hatte ſich eine Ahnung in mir niederge¬ ſchlagen, daß Gott ein Weſen ſein muͤſſe, mit welchem ſich allenfalls ein vernuͤnftiges Wort ſprechen ließe, eher, als mit jenen Thiergeſtalten. So lebte ich in einem unſchuldig vergnuͤglichen Verhaͤltniſſe mit dem hoͤchſten Weſen, ich kannte keine Beduͤrfniſſe und keine Dankbarkeit, kein

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 133. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/147>, abgerufen am 24.11.2024.