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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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Miethsleuten. Auf diesem Hause blieben zwar
noch einige fremde Kapitalien ruhen, jedoch hatte
es der rührige Mann in der Schnelligkeit so gut
eingerichtet und vermiethet, daß ein jährlicher
Ueberschuß an Miethgeldern meiner Mutter ein
bescheidenes Auskommen sicherte. Die alte Woh¬
nung ist seither unverändert geblieben, wie er sie
verlassen hat, und wir haben darin gelebt bis
auf diesen Tag, und eine einzige Geschäftsidee
des früh Verstorbenen hat hingereicht, seinen
Hinterlassenen das Brot zu verschaffen, dessen sie
bis jetzt bedurften.

Das erste, was meine Mutter begann, war
eine gänzliche Einschränkung und Abschaffung
alles Ueberflüssigen, wozu voraus jede Art von
dienstbaren Händen gehörte. In der Stille die¬
ses Wittwenthumes fand ich mein erstes deut¬
liches Bewußtsein, welches seinen Inhaber zur
Uebung treppauf und ab im Innern des Hauses
umherführte. Die untern Stockwerke sind dun¬
kel, sowohl in den Gemächern wegen der Enge
der Gassen, als auf den Treppenräumen und
Fluren, weil alle Fenster für die Zimmer benutzt

Miethsleuten. Auf dieſem Hauſe blieben zwar
noch einige fremde Kapitalien ruhen, jedoch hatte
es der ruͤhrige Mann in der Schnelligkeit ſo gut
eingerichtet und vermiethet, daß ein jaͤhrlicher
Ueberſchuß an Miethgeldern meiner Mutter ein
beſcheidenes Auskommen ſicherte. Die alte Woh¬
nung iſt ſeither unveraͤndert geblieben, wie er ſie
verlaſſen hat, und wir haben darin gelebt bis
auf dieſen Tag, und eine einzige Geſchaͤftsidee
des fruͤh Verſtorbenen hat hingereicht, ſeinen
Hinterlaſſenen das Brot zu verſchaffen, deſſen ſie
bis jetzt bedurften.

Das erſte, was meine Mutter begann, war
eine gaͤnzliche Einſchraͤnkung und Abſchaffung
alles Ueberfluͤſſigen, wozu voraus jede Art von
dienſtbaren Haͤnden gehoͤrte. In der Stille die¬
ſes Wittwenthumes fand ich mein erſtes deut¬
liches Bewußtſein, welches ſeinen Inhaber zur
Uebung treppauf und ab im Innern des Hauſes
umherfuͤhrte. Die untern Stockwerke ſind dun¬
kel, ſowohl in den Gemaͤchern wegen der Enge
der Gaſſen, als auf den Treppenraͤumen und
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[127/0141] Miethsleuten. Auf dieſem Hauſe blieben zwar noch einige fremde Kapitalien ruhen, jedoch hatte es der ruͤhrige Mann in der Schnelligkeit ſo gut eingerichtet und vermiethet, daß ein jaͤhrlicher Ueberſchuß an Miethgeldern meiner Mutter ein beſcheidenes Auskommen ſicherte. Die alte Woh¬ nung iſt ſeither unveraͤndert geblieben, wie er ſie verlaſſen hat, und wir haben darin gelebt bis auf dieſen Tag, und eine einzige Geſchaͤftsidee des fruͤh Verſtorbenen hat hingereicht, ſeinen Hinterlaſſenen das Brot zu verſchaffen, deſſen ſie bis jetzt bedurften. Das erſte, was meine Mutter begann, war eine gaͤnzliche Einſchraͤnkung und Abſchaffung alles Ueberfluͤſſigen, wozu voraus jede Art von dienſtbaren Haͤnden gehoͤrte. In der Stille die¬ ſes Wittwenthumes fand ich mein erſtes deut¬ liches Bewußtſein, welches ſeinen Inhaber zur Uebung treppauf und ab im Innern des Hauſes umherfuͤhrte. Die untern Stockwerke ſind dun¬ kel, ſowohl in den Gemaͤchern wegen der Enge der Gaſſen, als auf den Treppenraͤumen und Fluren, weil alle Fenſter fuͤr die Zimmer benutzt

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 127. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/141>, abgerufen am 24.11.2024.