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Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854.

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chenen Absicht trat er nun auch im Dorfe auf
zur großen Bewunderung seiner Sippschaft, und
das Erstaunen wurde noch größer, als er, mit
einem feinen Manschettenhemd bekleidet und sein
reinstes Hochdeutsch sprechend, sich mitten unter
die französisch-griechischen Gestalten des Pfarr¬
hauses mischte und um die Pfarrerstochter warb.
Der ländlich gesinnte Bruder mochte hierzu eine
Vermittelung, wenigstens ein aufmunterndes Bei¬
spiel darbieten; die Jungfrau schenkte dem blü¬
henden Freier bald ihr Herz, und die Verwirrung,
welche dadurch zu entstehen drohte, löste sich
schnell, als die Eltern der Braut kurz hinter
einander starben.

Also hielten sie eine stille Hochzeit und zogen
in die Stadt, sich weiter nicht nach der glanz¬
vollen Vergangenheit des Pfarrhauses umsehend,
in welches alsobald der junge Pfarrer mit ganzen
Wagen voll Sensen, Sicheln, Dreschflegeln,
Rechen, Heugabeln, mit gewaltigen Himmelbet¬
ten, Spinnrädern und Flachshecheln und mit
seiner kecken, frischen Frau einzog, welche mit
ihrem geräucherten Speck und mit ihren derben

chenen Abſicht trat er nun auch im Dorfe auf
zur großen Bewunderung ſeiner Sippſchaft, und
das Erſtaunen wurde noch groͤßer, als er, mit
einem feinen Manſchettenhemd bekleidet und ſein
reinſtes Hochdeutſch ſprechend, ſich mitten unter
die franzoͤſiſch-griechiſchen Geſtalten des Pfarr¬
hauſes miſchte und um die Pfarrerſtochter warb.
Der laͤndlich geſinnte Bruder mochte hierzu eine
Vermittelung, wenigſtens ein aufmunterndes Bei¬
ſpiel darbieten; die Jungfrau ſchenkte dem bluͤ¬
henden Freier bald ihr Herz, und die Verwirrung,
welche dadurch zu entſtehen drohte, loͤſte ſich
ſchnell, als die Eltern der Braut kurz hinter
einander ſtarben.

Alſo hielten ſie eine ſtille Hochzeit und zogen
in die Stadt, ſich weiter nicht nach der glanz¬
vollen Vergangenheit des Pfarrhauſes umſehend,
in welches alſobald der junge Pfarrer mit ganzen
Wagen voll Senſen, Sicheln, Dreſchflegeln,
Rechen, Heugabeln, mit gewaltigen Himmelbet¬
ten, Spinnraͤdern und Flachshecheln und mit
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[108/0122] chenen Abſicht trat er nun auch im Dorfe auf zur großen Bewunderung ſeiner Sippſchaft, und das Erſtaunen wurde noch groͤßer, als er, mit einem feinen Manſchettenhemd bekleidet und ſein reinſtes Hochdeutſch ſprechend, ſich mitten unter die franzoͤſiſch-griechiſchen Geſtalten des Pfarr¬ hauſes miſchte und um die Pfarrerſtochter warb. Der laͤndlich geſinnte Bruder mochte hierzu eine Vermittelung, wenigſtens ein aufmunterndes Bei¬ ſpiel darbieten; die Jungfrau ſchenkte dem bluͤ¬ henden Freier bald ihr Herz, und die Verwirrung, welche dadurch zu entſtehen drohte, loͤſte ſich ſchnell, als die Eltern der Braut kurz hinter einander ſtarben. Alſo hielten ſie eine ſtille Hochzeit und zogen in die Stadt, ſich weiter nicht nach der glanz¬ vollen Vergangenheit des Pfarrhauſes umſehend, in welches alſobald der junge Pfarrer mit ganzen Wagen voll Senſen, Sicheln, Dreſchflegeln, Rechen, Heugabeln, mit gewaltigen Himmelbet¬ ten, Spinnraͤdern und Flachshecheln und mit ſeiner kecken, friſchen Frau einzog, welche mit ihrem geraͤucherten Speck und mit ihren derben

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Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Der grüne Heinrich. Bd. 1. Braunschweig, 1854, S. 108. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_heinrich01_1854/122>, abgerufen am 08.05.2024.