Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.

Bild:
<< vorherige Seite

nieder; sie ließen ihre verschlungenen Hände fahren und stützten die traurigen Köpfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elends saßen, verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihre Gemüther wurden so schwer wie Steine.

Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des Geigers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief: Der arme Kerl sieht gar zu spaßhaft aus! Was für eine Nase! -- Und eine allerliebste sonnenhelle Lustigkeit verbreitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verblüfft und erstaunt, starrte unwillkürlich mit lachendem Munde auf die Augen, gleich einem Hungrigen, der ein süßes Weizenbrod erblickt, und rief: Bei Gott, Vreneli, wie schön bist du! -- Vrenchen lachte ihn nur noch mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze muthwillige Lachtöne, welche dem armen Sali nicht anders dünkten, als der Gesang einer Nachtigall. O du Hexe! rief er, wo hast du das gelernt? welche Teufelskünste treibst du da? -- Ach du lieber Gott! sagte Vrenchen mit schmeichelnder Stimme

nieder; sie ließen ihre verschlungenen Hände fahren und stützten die traurigen Köpfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elends saßen, verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihre Gemüther wurden so schwer wie Steine.

Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des Geigers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief: Der arme Kerl sieht gar zu spaßhaft aus! Was für eine Nase! — Und eine allerliebste sonnenhelle Lustigkeit verbreitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verblüfft und erstaunt, starrte unwillkürlich mit lachendem Munde auf die Augen, gleich einem Hungrigen, der ein süßes Weizenbrod erblickt, und rief: Bei Gott, Vreneli, wie schön bist du! — Vrenchen lachte ihn nur noch mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze muthwillige Lachtöne, welche dem armen Sali nicht anders dünkten, als der Gesang einer Nachtigall. O du Hexe! rief er, wo hast du das gelernt? welche Teufelskünste treibst du da? — Ach du lieber Gott! sagte Vrenchen mit schmeichelnder Stimme

<TEI>
  <text>
    <body>
      <div type="chapter" n="3">
        <p><pb facs="#f0061"/>
nieder; sie ließen ihre verschlungenen Hände fahren und                stützten die traurigen Köpfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte                hatten sie aus der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder                auf und abgewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elends saßen,                verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihre Gemüther wurden so schwer wie                Steine.</p><lb/>
        <p>Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des                Geigers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief: Der arme Kerl sieht gar zu                spaßhaft aus! Was für eine Nase! &#x2014; Und eine allerliebste sonnenhelle Lustigkeit                verbreitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis des                Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. Sali sah Vrenchen an und sah diese                Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch                auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verblüfft und erstaunt, starrte                unwillkürlich mit lachendem Munde auf die Augen, gleich einem Hungrigen, der ein                süßes Weizenbrod erblickt, und rief: Bei Gott, Vreneli, wie schön bist du! &#x2014; Vrenchen                lachte ihn nur noch mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze                muthwillige Lachtöne, welche dem armen Sali nicht anders dünkten, als der Gesang                einer Nachtigall. O du Hexe! rief er, wo hast du das gelernt? welche Teufelskünste                treibst du da? &#x2014; Ach du lieber Gott! sagte Vrenchen mit schmeichelnder Stimme<lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[0061] nieder; sie ließen ihre verschlungenen Hände fahren und stützten die traurigen Köpfe darauf; denn die Erscheinung des Geigers und seine Worte hatten sie aus der glücklichen Vergessenheit gerissen, in welcher sie wie zwei Kinder auf und abgewandelt, und wie sie nun auf dem harten Grund ihres Elends saßen, verdunkelte sich das heitere Lebenslicht, und ihre Gemüther wurden so schwer wie Steine. Da erinnerte sich Vrenchen unversehens der wunderlichen Gestalt und der Nase des Geigers, es mußte plötzlich hell auflachen und rief: Der arme Kerl sieht gar zu spaßhaft aus! Was für eine Nase! — Und eine allerliebste sonnenhelle Lustigkeit verbreitete sich über des Mädchens Gesicht, als ob sie nur geharrt hätte, bis des Geigers Nase die trüben Wolken wegstieße. Sali sah Vrenchen an und sah diese Fröhlichkeit. Es hatte die Ursache aber schon wieder vergessen und lachte nur noch auf eigene Rechnung dem Sali ins Gesicht. Dieser, verblüfft und erstaunt, starrte unwillkürlich mit lachendem Munde auf die Augen, gleich einem Hungrigen, der ein süßes Weizenbrod erblickt, und rief: Bei Gott, Vreneli, wie schön bist du! — Vrenchen lachte ihn nur noch mehr an und hauchte dazu aus klangvoller Kehle einige kurze muthwillige Lachtöne, welche dem armen Sali nicht anders dünkten, als der Gesang einer Nachtigall. O du Hexe! rief er, wo hast du das gelernt? welche Teufelskünste treibst du da? — Ach du lieber Gott! sagte Vrenchen mit schmeichelnder Stimme

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde im Rahmen des Moduls DTA-Erweiterungen (DTAE) digitalisiert. Weitere Informationen …

Thomas Weitin: Herausgeber
Digital Humanities Cooperation Konstanz/Darmstadt: Bereitstellung der Texttranskription. (2017-03-15T12:34:29Z) Bitte beachten Sie, dass die aktuelle Transkription (und Textauszeichnung) mittlerweile nicht mehr dem Stand zum Zeitpunkt der Übernahme des Werkes in das DTA entsprechen muss.
Jan Merkt, Thomas Gilli, Jasmin Bieber, Katharina Herget, Anni Peter, Christian Thomas, Benjamin Fiechter: Bearbeitung der digitalen Edition. (2017-03-15T12:34:29Z)

Weitere Informationen:

Bogensignaturen: nicht gekennzeichnet; Druckfehler: dokumentiert; fremdsprachliches Material: nicht gekennzeichnet; Geminations-/Abkürzungsstriche: keine Angabe; Hervorhebungen (Antiqua, Sperrschrift, Kursive etc.): nicht ausgezeichnet; i/j in Fraktur: keine Angabe; I/J in Fraktur: Lautwert transkribiert; Kolumnentitel: nicht gekennzeichnet; Kustoden: keine Angabe; langes s (ſ): als s transkribiert; Normalisierungen: keine; rundes r (ꝛ): keine Angabe; Seitenumbrüche markiert: ja; Silbentrennung: aufgelöst; u/v bzw. U/V: keine Angabe; Vokale mit übergest. e: keine Angabe; Vollständigkeit: vollständig erfasst; Zeichensetzung: wie Vorlage; Zeilenumbrüche markiert: nein;




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/61
Zitationshilfe: Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/61>, abgerufen am 23.11.2024.