Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016.Mühe gab, ihr nachzublicken. So kam es, daß er das Mädchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Nähe gesehen und gar nicht wußte, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn überhaupt von den Marti's gesprochen wurde, so dachte er unwillkürlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich, und deren Andenken ihm gar nicht verhaßt war. Doch war sein Vater Manz nun der Erste von den beiden Feinden, der sich nicht mehr halten konnte und von Haus und Hof springen mußte. Dieser Vortritt rührte daher, daß er eine Frau besaß, die ihm geholfen, und einen Sohn, der doch auch Einiges mit brauchte, während Marti der einzige Verzehrer war in seinem wackeligen Königreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten wie ein Hausthierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wußte nichts Anderes anzufangen, als auf den Rath seiner Seldwvler Gönner in die Stadt zu ziehen und da sich als Wirth aufzuthun. Dies ist immer ein Elend anzusehen, wenn ein ehemaliger Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Trümmern seiner Habe in eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe aufthut, um als letzten Rettungsanker den freundlichen und gewandten Wirth zu machen, während es ihm nichts weniger als freundlich zu Muth ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits waren; denn sie luden lauter alten und verfallenden Hausrath auf, dem Mühe gab, ihr nachzublicken. So kam es, daß er das Mädchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Nähe gesehen und gar nicht wußte, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn überhaupt von den Marti's gesprochen wurde, so dachte er unwillkürlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich, und deren Andenken ihm gar nicht verhaßt war. Doch war sein Vater Manz nun der Erste von den beiden Feinden, der sich nicht mehr halten konnte und von Haus und Hof springen mußte. Dieser Vortritt rührte daher, daß er eine Frau besaß, die ihm geholfen, und einen Sohn, der doch auch Einiges mit brauchte, während Marti der einzige Verzehrer war in seinem wackeligen Königreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten wie ein Hausthierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wußte nichts Anderes anzufangen, als auf den Rath seiner Seldwvler Gönner in die Stadt zu ziehen und da sich als Wirth aufzuthun. Dies ist immer ein Elend anzusehen, wenn ein ehemaliger Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Trümmern seiner Habe in eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe aufthut, um als letzten Rettungsanker den freundlichen und gewandten Wirth zu machen, während es ihm nichts weniger als freundlich zu Muth ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits waren; denn sie luden lauter alten und verfallenden Hausrath auf, dem <TEI> <text> <body> <div type="chapter" n="2"> <p><pb facs="#f0035"/> Mühe gab, ihr nachzublicken. So kam es, daß er das Mädchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Nähe gesehen und gar nicht wußte, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn überhaupt von den Marti's gesprochen wurde, so dachte er unwillkürlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich, und deren Andenken ihm gar nicht verhaßt war.</p><lb/> <p>Doch war sein Vater Manz nun der Erste von den beiden Feinden, der sich nicht mehr halten konnte und von Haus und Hof springen mußte. Dieser Vortritt rührte daher, daß er eine Frau besaß, die ihm geholfen, und einen Sohn, der doch auch Einiges mit brauchte, während Marti der einzige Verzehrer war in seinem wackeligen Königreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten wie ein Hausthierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wußte nichts Anderes anzufangen, als auf den Rath seiner Seldwvler Gönner in die Stadt zu ziehen und da sich als Wirth aufzuthun. Dies ist immer ein Elend anzusehen, wenn ein ehemaliger Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Trümmern seiner Habe in eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe aufthut, um als letzten Rettungsanker den freundlichen und gewandten Wirth zu machen, während es ihm nichts weniger als freundlich zu Muth ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits waren; denn sie luden lauter alten und verfallenden Hausrath auf, dem<lb/></p> </div> </body> </text> </TEI> [0035]
Mühe gab, ihr nachzublicken. So kam es, daß er das Mädchen schon seit ein paar Jahren nicht mehr in der Nähe gesehen und gar nicht wußte, wie es aussah, seit es herangewachsen. Und doch wunderte es ihn zuweilen ganz gewaltig, und wenn überhaupt von den Marti's gesprochen wurde, so dachte er unwillkürlich nur an die Tochter, deren jetziges Aussehen ihm nicht deutlich, und deren Andenken ihm gar nicht verhaßt war.
Doch war sein Vater Manz nun der Erste von den beiden Feinden, der sich nicht mehr halten konnte und von Haus und Hof springen mußte. Dieser Vortritt rührte daher, daß er eine Frau besaß, die ihm geholfen, und einen Sohn, der doch auch Einiges mit brauchte, während Marti der einzige Verzehrer war in seinem wackeligen Königreich, und seine Tochter durfte wohl arbeiten wie ein Hausthierchen, aber nichts gebrauchen. Manz aber wußte nichts Anderes anzufangen, als auf den Rath seiner Seldwvler Gönner in die Stadt zu ziehen und da sich als Wirth aufzuthun. Dies ist immer ein Elend anzusehen, wenn ein ehemaliger Landmann, der auf dem Felde alt geworden ist, mit den Trümmern seiner Habe in eine Stadt zieht und da eine Schenke oder Kneipe aufthut, um als letzten Rettungsanker den freundlichen und gewandten Wirth zu machen, während es ihm nichts weniger als freundlich zu Muth ist. Als die Manzen vom Hofe zogen, sah man erst, wie arm sie bereits waren; denn sie luden lauter alten und verfallenden Hausrath auf, dem
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Zitationshilfe: | Keller, Gottfried: Romeo und Julia auf dem Dorfe. In: Deutscher Novellenschatz. Hrsg. von Paul Heyse und Hermann Kurz. Bd. 3. 2. Aufl. Berlin, [1910], S. 233–348. In: Weitin, Thomas (Hrsg.): Volldigitalisiertes Korpus. Der Deutsche Novellenschatz. Darmstadt/Konstanz, 2016, S. . In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/keller_dorfe_1910/35>, abgerufen am 27.07.2024. |