ihre Mutter, wenn sie auch um ihr gewesen wäre, würde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau nichts als Geduld nöthig hatte, und übrigens auf alle Weise mit einem sonst braven Manne versorgt war. Ihre knechtische Furcht vor ihn verdarb ihr Schicksal noch mehr, als es sonst geschehn seyn würde; er konnte diese unregelmäßige Schüchternheit nicht leiden, welche ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange- nehmes gaben. Was sie durch eine ernste Bitte leicht bei ihm hätte bewirken können, das verdarb die Furcht, mit welcher sie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel- ches sie hernach doch aus Bedürfniß durch heimliche Mittel zu erreichen suchte, wodurch stets neue Ver- drüßlichkeiten entstanden. Wie gedrückt sie sich in die- ser Lage fühlen mußte, läßt sich leicht denken, beson- ders da sie, wenn er nicht auf Messen war, die ganze Woche durch an seine Befehle und Launen gefesselt ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit; da pflegte er nach Tische auszugehen und vor späten Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm sie denn, ihre Kleinen neben sich, ein Buch oder eine Feder in der Hand, und erleichterte ihren Geist in dem freien Felde ihrer Ideen. Hier stärkte sie sich in einem Buche für die ganze künftige Woche, hier schrieb sie sogar Verse, welche mehrentheils geistlich abgefaßt, oder auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man
ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre, wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war. Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange- nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht, mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel- ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver- druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die- ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon- ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit; da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn, ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man
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ihre Mutter, wenn ſie auch um ihr geweſen waͤre,
wuͤrde ihr nicht geholfen haben, weil die junge Frau
nichts als Geduld noͤthig hatte, und uͤbrigens auf alle
Weiſe mit einem ſonſt braven Manne verſorgt war.
Ihre knechtiſche Furcht vor ihn verdarb ihr Schickſal
noch mehr, als es ſonſt geſchehn ſeyn wuͤrde; er konnte
dieſe unregelmaͤßige Schuͤchternheit nicht leiden, welche
ihren Mienen und Handlungen wirklich viel Unange-
nehmes gaben. Was ſie durch eine ernſte Bitte leicht
bei ihm haͤtte bewirken koͤnnen, das verdarb die Furcht,
mit welcher ſie ihm ihr Anliegen verhehlte, und wel-
ches ſie hernach doch aus Beduͤrfniß durch heimliche
Mittel zu erreichen ſuchte, wodurch ſtets neue Ver-
druͤßlichkeiten entſtanden. Wie gedruͤckt ſie ſich in die-
ſer Lage fuͤhlen mußte, laͤßt ſich leicht denken, beſon-
ders da ſie, wenn er nicht auf Meſſen war, die ganze
Woche durch an ſeine Befehle und Launen gefeſſelt
ward. Allein der Sonntag gab ihr mehr Freiheit;
da pflegte er nach Tiſche auszugehen und vor ſpaͤten
Abend nicht wieder zu kommen. Da nahm ſie denn,
ihre Kleinen neben ſich, ein Buch oder eine Feder in
der Hand, und erleichterte ihren Geiſt in dem freien
Felde ihrer Ideen. Hier ſtaͤrkte ſie ſich in einem Buche
fuͤr die ganze kuͤnftige Woche, hier ſchrieb ſie ſogar
Verſe, welche mehrentheils geiſtlich abgefaßt, oder
auch im Styl jener Volkslieder waren, welche man
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Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 46. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/78>, abgerufen am 21.11.2024.
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