Anmelden (DTAQ) DWDS     dlexDB     CLARIN-D

Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792.

Bild:
<< vorherige Seite

ihrer nächsten Nachbarin. Diese, nachdem sie die
Dose um und um besehn und bewundert, macht
den Deckel auf und sagt: Hierin ist schöner Taback!
Karschin, nehme sie doch eine Prise! der Taback ist
mit Gold vermengt. Die schönerschrockne Dichterin
fand es wirklich so, wie die Frau sagte, und es waren
sechs Augustd'ore unter den Taback gemischt. Sie
glühete ihren Dank in Gesängen aus; der Baron ward
davon bezaubert, und stellte ihr frei, daß sie von ihm
etwas bitten sollte, was zu ihrem Glücke beitragen
könnte. Sie, welche noch immer die Zurückkunft ih-
res Mannes fürchtete, besann sich augenblicklich und
bat: daß er sie mit nach Berlin, (wohin dieser Hert
auf einer Reise begriffen war, um sich daselbst zu ver-
heirathen) nehmen möchte, wo sie vor der Nachfol-
gung ihres Mannes sicher zu seyn gedächte. Nichts
dünkte dem gütigen Herrn leichter, als das, und in
Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beschlossen und
gethan.

Welchen seeligen Taumel verbreitete diese Aussicht
in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde
von Lobliedern für ihren Wohlthäter erfüllt; Alles
ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert.
Als hätte sie mit der vorhabenden Reise einen unver-
siegbaren Schatz in Besitz zu nehmen, so wohl war
ihr. Sie schenkte alles weg, was sie an Möbeln und

f 2

ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die
Doſe um und um beſehn und bewundert, macht
den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback!
Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt
mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin
fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren
ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie
gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward
davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm
etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen
koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih-
res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und
bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert
auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver-
heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol-
gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts
duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in
Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und
gethan.

Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht
in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde
von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles
ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert.
Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver-
ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war
ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln und

f 2
<TEI>
  <text>
    <body>
      <div n="1">
        <p><pb facs="#f0115" n="83"/>
ihrer na&#x0364;ch&#x017F;ten Nachbarin. Die&#x017F;e, nachdem &#x017F;ie die<lb/>
Do&#x017F;e um und um be&#x017F;ehn und bewundert, macht<lb/>
den Deckel auf und &#x017F;agt: Hierin i&#x017F;t &#x017F;cho&#x0364;ner Taback!<lb/>
Kar&#x017F;chin, nehme &#x017F;ie doch eine Pri&#x017F;e! der Taback i&#x017F;t<lb/>
mit Gold vermengt. Die &#x017F;cho&#x0364;ner&#x017F;chrockne Dichterin<lb/>
fand es wirklich &#x017F;o, wie die Frau &#x017F;agte, und es waren<lb/>
&#x017F;echs Augu&#x017F;td&#x2019;ore unter den Taback gemi&#x017F;cht. Sie<lb/>
glu&#x0364;hete ihren Dank in Ge&#x017F;a&#x0364;ngen aus; der Baron ward<lb/>
davon bezaubert, und &#x017F;tellte ihr frei, daß &#x017F;ie von ihm<lb/>
etwas bitten &#x017F;ollte, was zu ihrem Glu&#x0364;cke beitragen<lb/>
ko&#x0364;nnte. Sie, welche noch immer die Zuru&#x0364;ckkunft ih-<lb/>
res Mannes fu&#x0364;rchtete, be&#x017F;ann &#x017F;ich augenblicklich und<lb/>
bat: daß er &#x017F;ie mit nach Berlin, (wohin die&#x017F;er Hert<lb/>
auf einer Rei&#x017F;e begriffen war, um &#x017F;ich da&#x017F;elb&#x017F;t zu ver-<lb/>
heirathen) nehmen mo&#x0364;chte, wo &#x017F;ie vor der Nachfol-<lb/>
gung ihres Mannes &#x017F;icher zu &#x017F;eyn geda&#x0364;chte. Nichts<lb/>
du&#x0364;nkte dem gu&#x0364;tigen Herrn leichter, als das, und in<lb/>
Zeit von vierzehn Tagen war die Sache be&#x017F;chlo&#x017F;&#x017F;en und<lb/>
gethan.</p><lb/>
        <p>Welchen &#x017F;eeligen Taumel verbreitete die&#x017F;e Aus&#x017F;icht<lb/>
in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde<lb/>
von Lobliedern fu&#x0364;r ihren Wohltha&#x0364;ter erfu&#x0364;llt; Alles<lb/>
ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert.<lb/>
Als ha&#x0364;tte &#x017F;ie mit der vorhabenden Rei&#x017F;e einen unver-<lb/>
&#x017F;iegbaren Schatz in Be&#x017F;itz zu nehmen, &#x017F;o wohl war<lb/>
ihr. Sie &#x017F;chenkte alles weg, was &#x017F;ie an Mo&#x0364;beln und<lb/>
<fw place="bottom" type="sig">f 2</fw><lb/></p>
      </div>
    </body>
  </text>
</TEI>
[83/0115] ihrer naͤchſten Nachbarin. Dieſe, nachdem ſie die Doſe um und um beſehn und bewundert, macht den Deckel auf und ſagt: Hierin iſt ſchoͤner Taback! Karſchin, nehme ſie doch eine Priſe! der Taback iſt mit Gold vermengt. Die ſchoͤnerſchrockne Dichterin fand es wirklich ſo, wie die Frau ſagte, und es waren ſechs Auguſtd’ore unter den Taback gemiſcht. Sie gluͤhete ihren Dank in Geſaͤngen aus; der Baron ward davon bezaubert, und ſtellte ihr frei, daß ſie von ihm etwas bitten ſollte, was zu ihrem Gluͤcke beitragen koͤnnte. Sie, welche noch immer die Zuruͤckkunft ih- res Mannes fuͤrchtete, beſann ſich augenblicklich und bat: daß er ſie mit nach Berlin, (wohin dieſer Hert auf einer Reiſe begriffen war, um ſich daſelbſt zu ver- heirathen) nehmen moͤchte, wo ſie vor der Nachfol- gung ihres Mannes ſicher zu ſeyn gedaͤchte. Nichts duͤnkte dem guͤtigen Herrn leichter, als das, und in Zeit von vierzehn Tagen war die Sache beſchloſſen und gethan. Welchen ſeeligen Taumel verbreitete dieſe Ausſicht in dem Herzen der Dichterin! Ganz Glogau wurde von Lobliedern fuͤr ihren Wohlthaͤter erfuͤllt; Alles ward ihn zu bewundern und zu verehren aufgefordert. Als haͤtte ſie mit der vorhabenden Reiſe einen unver- ſiegbaren Schatz in Beſitz zu nehmen, ſo wohl war ihr. Sie ſchenkte alles weg, was ſie an Moͤbeln und f 2

Suche im Werk

Hilfe

Informationen zum Werk

Download dieses Werks

XML (TEI P5) · HTML · Text
TCF (text annotation layer)
XML (TEI P5 inkl. att.linguistic)

Metadaten zum Werk

TEI-Header · CMDI · Dublin Core

Ansichten dieser Seite

Voyant Tools ?

Language Resource Switchboard?

Feedback

Sie haben einen Fehler gefunden? Dann können Sie diesen über unsere Qualitätssicherungsplattform DTAQ melden.

Kommentar zur DTA-Ausgabe

Dieses Werk wurde gemäß den DTA-Transkriptionsrichtlinien im Double-Keying-Verfahren von Nicht-Muttersprachlern erfasst und in XML/TEI P5 nach DTA-Basisformat kodiert.




Ansicht auf Standard zurückstellen

URL zu diesem Werk: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792
URL zu dieser Seite: https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/115
Zitationshilfe: Karsch, Anna Luise: Gedichte. Berlin, 1792, S. 83. In: Deutsches Textarchiv <https://www.deutschestextarchiv.de/karsch_gedichte_1792/115>, abgerufen am 21.11.2024.