Karsch, Anna Luise: Auserlesene Gedichte. Berlin, 1764.Erstes Buch. Nicht von der Zeit, vom Zufall nicht erdrückt,Bezeuget, daß in ihr der Gottheit Funke liege! Wann achtzehn Erndten noch vorüber gehn, Und Krankheit nicht in Dir Verwüstung angerichtet; Dann ist vielleicht noch dieses Antlitz schön, Das alle Kunst der Mahlerey zernichtet. Wann aber funfzig Sommer du gelebt; Alsdann haucht alle Reize von den Wangen Die starke Zeit, vor der die Gärten sind vergangen, Die prächtig in der Luft geschwebt. Dein äußrer Bau, so künstlich er gewebt, So sein die Nerven auch sind überzogen worden, Ist nichtig, muß vergehn; wie Blüten im April, Wenn nächtlich sie ein Frost kommt in der Knospe morden, Und wenn ins Leben sie die Sonne wecken will, Noch ungestalt und welk an Zweige kleben -- Dir aber sollen noch die Jahre Reizung geben. Dein Geist, der innre Mensch, soll, wirst du älter seyn, Durch größre Schönheit den erfreun, Der dir bestimmt, und deiner werth befunde Mit dir durchlebet goldne Stunden. Erſtes Buch. Nicht von der Zeit, vom Zufall nicht erdruͤckt,Bezeuget, daß in ihr der Gottheit Funke liege! Wann achtzehn Erndten noch voruͤber gehn, Und Krankheit nicht in Dir Verwuͤſtung angerichtet; Dann iſt vielleicht noch dieſes Antlitz ſchoͤn, Das alle Kunſt der Mahlerey zernichtet. Wann aber funfzig Sommer du gelebt; Alsdann haucht alle Reize von den Wangen Die ſtarke Zeit, vor der die Gaͤrten ſind vergangen, Die praͤchtig in der Luft geſchwebt. Dein aͤußrer Bau, ſo kuͤnſtlich er gewebt, So ſein die Nerven auch ſind uͤberzogen worden, Iſt nichtig, muß vergehn; wie Bluͤten im April, Wenn naͤchtlich ſie ein Froſt kommt in der Knoſpe morden, Und wenn ins Leben ſie die Sonne wecken will, Noch ungeſtalt und welk an Zweige kleben — Dir aber ſollen noch die Jahre Reizung geben. Dein Geiſt, der innre Menſch, ſoll, wirſt du aͤlter ſeyn, Durch groͤßre Schoͤnheit den erfreun, Der dir beſtimmt, und deiner werth befunde Mit dir durchlebet goldne Stunden. <TEI> <text> <body> <div n="1"> <div n="2"> <lg type="poem" n="27"> <l><pb facs="#f0347" n="303"/><fw place="top" type="header"><hi rendition="#b">Erſtes Buch.</hi></fw><lb/> Nicht von der Zeit, vom Zufall nicht erdruͤckt,<lb/> Bezeuget, daß in ihr der Gottheit Funke liege!<lb/> Wann achtzehn Erndten noch voruͤber gehn,<lb/> Und Krankheit nicht in Dir Verwuͤſtung angerichtet;<lb/> Dann iſt vielleicht noch dieſes Antlitz ſchoͤn,<lb/> Das alle Kunſt der Mahlerey zernichtet.<lb/> Wann aber funfzig Sommer du gelebt;<lb/> Alsdann haucht alle Reize von den Wangen<lb/> Die ſtarke Zeit, vor der die Gaͤrten ſind vergangen,<lb/> Die praͤchtig in der Luft geſchwebt.<lb/> Dein aͤußrer Bau, ſo kuͤnſtlich er gewebt,<lb/> So ſein die Nerven auch ſind uͤberzogen worden,<lb/> Iſt nichtig, muß vergehn; wie Bluͤten im April,<lb/> Wenn naͤchtlich ſie ein Froſt kommt in der Knoſpe<lb/><hi rendition="#et">morden,</hi><lb/> Und wenn ins Leben ſie die Sonne wecken will,<lb/> Noch ungeſtalt und welk an Zweige kleben —<lb/> Dir aber ſollen noch die Jahre Reizung geben.<lb/> Dein Geiſt, der innre Menſch, ſoll, wirſt du aͤlter ſeyn,<lb/> Durch groͤßre Schoͤnheit den erfreun,<lb/> Der dir beſtimmt, und deiner werth befunde<lb/> Mit dir durchlebet goldne Stunden.<lb/></l> </lg> </div> </div> </body> </text> </TEI> [303/0347]
Erſtes Buch.
Nicht von der Zeit, vom Zufall nicht erdruͤckt,
Bezeuget, daß in ihr der Gottheit Funke liege!
Wann achtzehn Erndten noch voruͤber gehn,
Und Krankheit nicht in Dir Verwuͤſtung angerichtet;
Dann iſt vielleicht noch dieſes Antlitz ſchoͤn,
Das alle Kunſt der Mahlerey zernichtet.
Wann aber funfzig Sommer du gelebt;
Alsdann haucht alle Reize von den Wangen
Die ſtarke Zeit, vor der die Gaͤrten ſind vergangen,
Die praͤchtig in der Luft geſchwebt.
Dein aͤußrer Bau, ſo kuͤnſtlich er gewebt,
So ſein die Nerven auch ſind uͤberzogen worden,
Iſt nichtig, muß vergehn; wie Bluͤten im April,
Wenn naͤchtlich ſie ein Froſt kommt in der Knoſpe
morden,
Und wenn ins Leben ſie die Sonne wecken will,
Noch ungeſtalt und welk an Zweige kleben —
Dir aber ſollen noch die Jahre Reizung geben.
Dein Geiſt, der innre Menſch, ſoll, wirſt du aͤlter ſeyn,
Durch groͤßre Schoͤnheit den erfreun,
Der dir beſtimmt, und deiner werth befunde
Mit dir durchlebet goldne Stunden.
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